Abschied und Erinnerungen

 

Zum 2. Jahrestodestag

                                                                                    8.3.2002 

Am 24. März jährt sich zum zweiten Mal der Todestag von meiner Frau. Zwiespältiges Empfinden. Die Erinnerungen sind nahe, sie schmerzen. Doch erscheint alles irgendwie unwahr.

Die Unfassbarkeit des Ereignisses steht immer noch im Raum. Dass Erika fort ist, ist für mich immer noch unbegreiflich. Die Stunden des Abschieds stehen mir noch deutlich vor Augen.   Wenn ich an Erikas Grab stehe, kann ich nicht glauben, dass sie darin liegt, obwohl ich ihre Beisetzung mit eigenen Augen gesehen habe. 

War es in den ersten Zeiten der Schmerz, der mich gepackt hatte, so erlebe ich nun mehr und mehr den mit Sehnsucht gepaarten Verlust, dass sie nicht mehr bei mir ist, aber auch den Verlust der gemeinsamen Mitte, die uns vereinigte, den Verlust an Geborgenheit, die ich bei ihr - auch in den Zeiten ihrer langen Krankheit - gefunden hatte. Ich habe z.Z. das Gefühl zu schwimmen oder zu fliegen, ziellos, haltlos, ungesichert, einsam, irgendwo, schwerelos. Dass ich versinken oder abstürzen könnte, dass beschwert mich nicht im geringsten.

In unserem früheren gemeinsamen, heute meinem Schlafzimmer,  in dem Erika ja auch fast 16 Jahre gelähmt gelegen hat, hängen schon seit den ersten Wochen nach dem Tode Erikas viele Fotos von uns, von unserer Verlobung und Hochzeit, von Festen, gemeinsamen Fotos von ihr und den Kindern, von paradiesischen Urlauben, von Erlebnissen unserer Fahrten mit Rollstuhl und Wohnmobil durch Europa an Stränden und in Ortschaften. 

Vor einem Jahr war ich um diese Zeit in Brasilien, ein Entschluss, der mir gut tat und Abstand zu allen Ereignissen in meinem Leben brachte. Damit war leider verbunden, dass ich an Erikas ersten Jahrestag ihres Todes nicht zu Hause sein konnte, was mich sehr traurig machte.  In Brasilien - im Nordwesten - lebte ich fast ein Viertel Jahr, gut vorbereitet durch Impfungen und gut trainiert durch mehrmaliges wöchentliches Fitnesstraining. Ich lernte im Urwald Nordbrasiliens Portugiesisch und arbeitete in einem Altenheim, dem einzigen weit und breit. Nach der Rückkehr habe ich  ein paar Wochen lang an einem Virus gelitten. - Seit einigen Tagen steht im Internet endlich ein großer Teil des Berichtes über diese Brasilien-Reise von über 30 000 km hin und zurück.

Inzwischen habe ich über den Nutzen und die Möglichkeiten der mit Erika unternommenen Fahrten mit Rollstuhl und Wohnmobil nachgedacht und das Ergebnis niedergeschrieben. Ein Teil steht jetzt im Internet. Der ganze Aufsatz wird im nächsten Monat in einem Buch veröffentlicht.

Den ersten Urlaub nach Erikas Tod machte ich mit meinen Kindern und Enkelkindern. Im letzten Jahr habe ich dann den größten Teil des Urlaubs selbst bestritten, ich bin bis nach Carthagena in Spanien mit dem Wohnmobil gefahren. Dort habe ich jeden Tag - fast sechs Wochen lang - im Meer 800 m geschwommen und  viel gelesen - 25 Romane einschließlich Krimis.

Zum ersten Mal nach Erikas Tod habe ich im letzten Jahr zu Weihnachten unsere gemeinsam gewerkelte Therapie-Krippe wieder aufgebaut und oft davor gesessen - in Gedanken an das Unabänderliche. Den Abbau musste ich leider hinausschieben, da ich mir zwei Tage vor Sylvester 2001 vier Rippenbrüche zuzog. Dieser Abbau in diesen Tagen nun - ungewöhnlich spät - brachte besonders traurige Erinnerungen an Erika hoch, da ich vor  zwei Jahren im Beisein von Erika die Figuren abräumte und immer wieder gedacht hatte: Ist das das letzte Mal, dass wir hier gemeinsam dieses Fest gefeiert haben? 

Es war das letzte gemeinsame Weihnachtsfest.

Winfried Kerkhoff                                         

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