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Ihr
Lieben!
Heute
ist unser 42. Hochzeitstag - 29.12.2000 -, und das Jahr 2000 neigt sich seinem Ende zu. Ein
Jahr, das beladen war von vielen Hoffnungen und guten Wünschen, gerade wegen
seiner Zahl.
Dieser
Brief ist so etwas wie ein Nachwort zu den Reisen nach Lourdes, Fatima, Athen,
Lissabon, Rom, Olympia und nach Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Kroatien
und Griechenland in den Jahren 1995 bis 1999, deren Berichte Ihr – auch den
von Griechenland nun - hier im Internet nachlesen könnt. Bis zum Alter
von 70 Jahren – so hatte ich mit Sicherheit gehofft, gesundheitlich zumindest
in der Lage zu sein, Erika in unserem Wohnmobil weiterhin herumfahren und mit
ihr Berichte für Euch liefern zu können. Ich weiß, dass Ihr all unsere
Fahrten, aber auch unsere Freuden und Sorgen mit Liebe verfolgt habt. An die 50
Briefe habe ich jedes Jahr fortgeschickt. Und viele liebevolle Antworten
bekommen. Dafür sei
Euch ein ganz herzliches Dankeschön gesagt.
Als
Erika und ich in der letzten gemeinsamen
Silvesternacht 1999 bei unserer Tochter
und ihrer Familie eingeladen waren und um 0 Uhr uns unter dem explodierenden und
bunten
Raketenhimmel gegenseitig ein glückliches Neujahr wünschten, fragten wir uns,
wie Ihr und ein jeder in dieser Nacht sich gefragt hat, was bringt uns wohl
dieses Jahr, diese runde Zweitausend? Würde die Ziffer Zwei uns, Erika und mir,
viele gemeinsame und glückliche Stunden bringen?
Jedes
Jahr hatten wir uns in der Familie diese bange Frage mit aller Deutlichkeit seit
Erikas Schlaganfall gestellt, obwohl gerade in den letzten Jahren gesundheitlich
keinerlei Anlass zu irgendwelchen Sorgen bestand. Aber die Angst saß tief in
uns seit diesen Tagen des drohenden Verlustes, als alles verloren schien im
Jahre 1984, als das Schicksal Erika traf.
Dennoch
hofften wir alle, so wie sicher auch Ihr, für 2000 auf persönliches Glück,
weiterhin auf Gesundheit - und ich auf eine neue gemeinsame Urlaubsreise mit
Erika.
Keiner
von uns wusste, dass die kommende Zeit für uns eine Riesenanzahl von Nullen,
viel mehr als die Zahl 2000 zeigte, bereit hielt. Ein Aus unseres gemeinsamen
Lebens.
Am
24. März, schon knapp drei Monate nach dieser Sylvesternacht musste ich Erika
aus meinen Händen geben und sie allein eine Reise, die letzte, antreten lassen.
Alle unsere Reisen hatten wir bisher gemeinsam unternommen, sie umsichtig
geplant, uns auf alle Eventualitäten vorbereitet, alles bis ins Kleinste
kalkuliert. Doch diese Reise traf uns unvorbereitet und unerwartet. Was kann man für seine
letzte Reise tun? Wenn sie plötzlich angesagt ist? Nichts kannst du mitnehmen.
Nichts! Oder doch?
Ich
erinnere mich – jetzt auch unter Tränen, wo ich hier am Laptop schreibe –
daran, dass, wenn ich mal läppisch sagte: „Ja, alles hat ein Ende, nur die
Wurst hat zwei!“ Erika mir immer sehr ernsthaft antwortete: „Aber die Liebe
nicht, unsere Liebe bleibt ewig.“ Ich muss es gestehen, wie sie das meinte,
habe ich zu ihren Lebzeiten nie ganz richtig verstanden. Aber jetzt ahne ich es.
Es
ist die Liebe, die du anderen und die andere dir geschenkt haben und auch in der
Stunde des Todes dir schenken, und es ist die gegenseitige Vergebung. Dieses
kannst du mitnehmen. Und darauf bist du angewiesen. Vielleicht ist es das, was
den Abschied bei dieser letzten Reise, wenn du sie antreten musst, tröstlich
und leichter macht. Es scheint eine unbedeutende Bagage, aber was willst du
sonst mitnehmen? Es ist zwar keine Versicherungspolice, die wir ja immer so gern
in der Tasche haben, aber in diesem Fall nichts nützt, denn, wie jeder weiß,
das „Totenhemd“ hat keine Taschen.
Ob
man den anderen genügend geliebt, ob man genug Liebe, um das Leben zu bestehen,
gegeben und bekommen hat? Letzte Zweifel bleiben, die vielleicht eben nur durch
die gegenseitige Vergebung beseitigt werden können.
Eigentlich
hatte die bevorstehende Reise von Erika Ähnlichkeit mit all unseren früheren
Unternehmungen von fast 33 000 km, nicht ganz einmal um die Welt - in unbekannte
Länder, dessen Leute wir noch nie gesehen hatten. Was in diesen Ländern auf
uns zukam, wer wusste das schon. Immer wieder stellten wir fest, dass etwas
fehlte oder verbessert werden konnte – und schrieben es uns für die nächsten
Reisevorbereitungen auf.
Trotz
bester Planungen und
Nachbesserungen blieb letztendlich ein
Restrisiko auf
diesen Reisen. Du sitzt auf einem Campingstuhl, der plötzlich unter dir
zusammensackt. Du gerätst mit deiner Frau auf den Armen ins Schlingern – Gott
sei Dank ist eine Mauer da, an der du dich auffangen kannst. Unter deinen Füßen,
Erika auf dem Arm, bricht die Treppe zum Wohnmobil ein und du kannst dich gerade
noch mit der Schulter an dem Türpfosten stützen, denn du hast ja keine Hand
mehr frei.
Wenn
man mich auf solche Risiken ansprach und meinte, ich sei doch auf unseren Reisen
eigentlich allein und auf mich gestellt, ich sei doch sehr mutig, wenn nicht
verwegen, antwortete ich etwas verlegen: „Ich habe in meiner Frau eine gute
Beraterin und geistige Stütze. Und in Notfällen haben wir jeder einen
Schutzengel. Darüber hinaus sind ja
nicht alle Schutzengel bei den anderen Menschen immer gefragt. Alle diese begleiten uns, wenn es pressiert, und packen
mit an. Das müsste reichen!“ Und
es hat gereicht. Ich bin sicher, dass Erika auch auf ihrer
letzten Reise sich auf ihre Engel verlassen konnte.
Unbekannt
und fremd war für Erika auch diese letzte Reise. Reiseberichte darüber - und
das war der Unterschied zu ihren bisherigen Reisen, kann keiner irgendwo
nachlesen und ein Zweites – nie würde sie von dieser Reise zurückkehren.
Nie! Die letzte Reise.
Und
so habt Ihr vergeblich auf ihren und unseren Reisebericht in diesem Jahr zu
Weihnachten warten müssen. Nur ich, ohne Erika, kann hoffen, dass Ihr gute
Weihnacht hattet, und Euch ein gutes Neues Jahr 2001 wünschen, das Euch vor
allem Ungemach schützen möge.
Winfried
Kerkhoff
Dezember 2000
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