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Bildungs-, Pilger- und Erholungsfahrt mit Rollstuhl und Wohnmobil durch Europa von Erika und Winfried Kerkhoff ------------------------------------------------------ Santiago de Compostela, Fatima, Granada Guten
Tag, Ihr Lieben! Bonjour!
Bom dia! Buenos dias! Verschiedene
haben angefragt und schon gemahnt. Sie wollten Näheres über unsere Ferienfahrt
1997 hören. Zunächst: die Länder, die wir besuchten, kann man aus der obigen
Anrede enträtseln, wenn Ihr sehr neugierig seid. Und damit ist die Frage, ob
wir denn wirklich unsere Planung realisieren konnten, mit Ja zu beantworten. Und
wie es uns ergangen ist? Diese Antwort ist schon nicht mehr so eindeutig zu
geben - mit einem Gut. Zu einem Aber „mit ein paar Einschränkungen“ müssten
wir uns schon der Wahrheit halber entschließen. Wir hatten vor und auf
der Fahrt ein paar „Schrammen“ zu erdulden. Federn lassen, hätte ich
gesagt, wenn wir Vögel gewesen und geflogen wären. Aber das Wichtigste ist:
Wir sind gesund und erholt zurückgekommen. Ich hoffe, dass
ihr den Brief jetzt nicht weglegt und sagt: „O.K. Mehr wollten wir
nicht wissen.“ Ich
glaube, dass wir schon einiges Interessantes erlebt haben. Doch können
wir bei weitem nicht alles - und auch nicht in der Ausführlichkeit - berichten.
Die Eindrücke und Ereignisse waren derart zahlreich, dass es diesen Bericht sprengen würde. Ich will Euch ja auch
nicht ein Paket schicken. Deswegen habe ich vor, alle unsere „Pilgerfahrten“
nach Lourdes, nach Rom und nach Santiago/Fatima in einem Büchlein
zusammenzufassen. Titel „Mit Rollstuhl und Wohnmobil auf Pilger- und Vergnügungsfahrt“
? Hier in diesem Bericht gibt es also nur einige Bonbons - nicht Bonmots, ich
habe mich nicht verschrieben -, und einige sind sehr, sehr sauer. Saure Drops. HemmnisseDer
Bericht ist erst jetzt fertig. Das hatte Gründe. Zunächst habe ich viel und
lange im Urlaub am Steuer unseres Wohnmobils gesessen und hatte, als wir endlich
in der Algarve (Portugal) bzw. in El Portus (Spanien) ausruhten, keine Lust zu
schreiben. Ich führte meistens nur stichpunktartig Tagebuch auf dem Computer.
Zuhause dann drängte sich die Endplanung eines Buches - eine Sammlung der Vorträge
unserer Ausstellung zur Kunst behinderter Menschen im Herbst 1996 in Berlin - in
den Vordergrund. Leider war ich nicht raffiniert genug im Herbst 1996, mich bei
den Vorträgen dieser Tagung rauszuhalten. Aber - wer tut das auch schon, wenn
er Mitveranstalter einer Ausstellung und Tagung ist; dann hätte ich früher
Zeit für den Urlaubsbericht gehabt. Und
dann war da ja auch noch die Krippe. Für dieses Jahr stand der vierte König
auf der Arbeitsliste - ich glaube den gibt es bei Edzard Schaper als Buch - und
bei Kerkhoffs auf der Krippe. Ein chinesischer Kaiser! Chinesisch aussehende
Kleiderstoffe für ihn und seinen Begleiter haben Erika und ich gekauft. Der
„vierte König“ mußte natürlich auch dem Kind in der Krippe etwas
mitbringen. Gold., Weihrauch und Myrrhe sind schon vergeben. Was blieb noch übrig?
Edelsteine? Erika
wusste es besser. „Der führt
einen Tiger an der Leine“, schlug sie vor. „Einen
Tiger? Einen Tiger. Mh, mh! Aber der Tiger muss
weiß sein“, befand ich. Wir
waren über den Einfall begeistert. So war’s entschieden. Wollt ihr unser
neuestes Werk bewundern, dann seid Ihr herzlich eingeladen. Und
nun - vielleicht habt Ihr ja an den Weihnachtstagen ein Stündchen Zeit, den
nachfolgenden Bericht über unsere „Wallfahrts-, Bildungs- und Vergnügungsreise“
zu lesen.
Planung Dass
wir 1997 nach Fatima fuhren, stand ja schon 1996 vor dem Urlaub nach Rom fest.
So kauften wir recht früh Bücher über Portugal und Spanien. Schrieben
Fremdenverkehrsämter der Länder und die Automobilclubs an, um Informationen über
das Reisen mit einem Wohnmobil in den genannten Ländern zu erhalten. Enttäuschend.
Unsere Wünsche waren zu speziell. Wir fanden schließlich selbst auf einer
Buch-CD, die über alle z.Z. lieferbaren Veröffentlichungen informiert, Bücher
über Reiseerfahrungen einiger Wohnmobilcamper. Schon früh hingen bei uns im
Wohnzimmer an einer Staffelei Straßenkarten in unterschiedlichen Maßstäben,
Größen und Teilansichten von Deutschland, Frankreich, Portugal und Spanien,
auf denen wir unsere Reiseroute markierten. So kam die alte Staffelei, an der
mein Vater so oft und lange während seiner frühen Pensionszeit gesessen und Rötel-
und Kohlezeichnungen angefertigte hatte, zu Ehren. Erika,
die tagsüber auf der Urlaubsliege vorn im Wohnzimmer lag, hatte so die
Reiseroute im Ganzen und in Teilen stets vor Augen. Oft sprachen wir auch darüber.
Eine Grobplanung unserer Reise mit Aufenthaltszeiträumen war bald auf dem
Computer erstellt. Mögliche Besichtigungsorte und wichtige Campingplatze waren
schnell ausgesucht, aber immer neue Aspekte kamen hinzu, wurden diskutiert und
teils auch wieder verworfen. Aber es fehlte die letzte Entscheidung. In
diese Vorbereitungszeit hinein kam die erste Bremsung. Schon seit längerer Zeit
war abzusehen, dass ich mich einer kleinen Operation, nicht lebensgefährlich,
aber unangenehm, unterziehen musste. Lange hinausgeschoben, half nun eigentlich
keine Verzögerungstaktik mehr. Es war kurz vor Weihnachten 1996. Keine günstige
Zeit. Als ich nämlich nach 4 Tagen wiederkam, musste ich noch liegen, durfte
nicht heben. Der Hausarzt übernahm die Wundversorgung für die 14 Tage nach der
Entlassung. Die Krankenschwestern versorgten meine Frau zusätzlich, die Kinder
packten mit an. Schonung stand auf meinem Tagesplan an erster Stelle! Nicht
leicht durchzuhalten angesichts unserer familiären Lage. Alles brauchte nun
mehr Zeit, obwohl ich vier Wochen krank geschrieben wurde und nicht nach Berlin
brauchte. Auch die Reiseplanung für Spanien und Portugal litt darunter. Da die
Heilung wenig Fortschritte machte, musste ich sogar nach Weihnachten 1996, also
im neuen Jahr (1997) fast wöchentlich zur Untersuchung ins Krankenhaus nach Münster.
Schließlich schlug der Arzt eine zweite Operation vor, wenn die Schmerzen wegen
des geringen Fortschrittes der Heilung aufhören sollten. Ich sagte zu, aber
machte zur Bedingung, dass ich nach der Operation nach Hause fahren durfte,
wegen Erika. Der Arzt und ich einigten uns schließlich darauf, dass ich
mindestens eine Nacht im Krankenhaus blieb. Zu Hause durfte ich wieder nicht
heben, musste wieder viel liegen, musste noch vorsichtiger sein, war wieder vier
Wochen krank geschrieben und musste wochenlang jede Woche zur Untersuchung nach
Münster ins Krankenhaus. Nur langsam heilte alles aus. Aber der Zeitverlust war
enorm. Auch die Examensarbeiten waren liegengeblieben. Nur meine Studenten/innen
in der Schule hatten weitergearbeitet. Das fand ich ganz toll. Etwas
unwohl fühlte ich mich schon bei dem Gedanken, dass ich die Landstraßennummern
unserer Reise noch nicht wusste und auch nicht die Campingplätze, an denen wir
jeweils am Abend übernachten könnten, und ich war zu Beginn der Reise nicht
besser informiert. Nur die großen Stationen waren festgelegt. Auch die
Tagesrouten waren nur grob nach Tageskilometern, nämlich ca. 250 pro Tag,
geplant. Für die genaue Planung hatte ich das Laptop und die CD für Campingplätze
und auch mehrere Campingführer eingepackt. Einen CD-Player für das Laptop
musste ich mir für diese Aufgaben natürlich auch kaufen. Abends im Urlaub
wollte ich jeweils für den nächsten Tag planen. Ich hoffte, dazu nicht zu müde
zu sein. Außerdem hoffte ich auf die Zwischenstation in Frankreich am Ozean, wo
wir ein paar Tage ausruhen wollten. U-Kissen
Zur
Erinnerung: Meine Frau darf lt. TÜV während der Fahrt mit dem Wohnmobil auf
einem speziell genehmigten Bett angeschnallt gefahren werden. So steht es in den
Wagenpapieren. Eigentlich darf man in einem Wohnmobil nur auf den genehmigten
Sitzplätzen während der Reise sitzen. Bei
der letzten Ferienfahrt war es ja öfter vorgekommen, dass
ich wegen der Veränderung der Körperlage meiner Frau, infolge Rütteln
oder Spasmen, anhalten musste und
oft in große
Schwierigkeiten kam, da ja ein Halten auf jeder Straße nicht möglich oder
erlaubt ist. Es
zeigte sich, dass Erika weniger Probleme hatte, wenn sie Schuhe trägt. Dann fühlt
sie nicht so sehr, dass evtl. die Strümpfe an den Zehen zu eng sitzen. Dann drückt
oder hakt der Strumpf nicht an den großen Zehen. Die Lagerung ist auch
einfacher, da die Schuhe besser mit dem Absatz auf dem Untergrund aufliegen und
sicherer gegen ein schräges Kissen drücken, das vor Spitzfüßen schützt. Es
scheint ein kleines Problem zu sein, hat aber enorme Wirkung: man muss halten, wenn Probleme mit den Füßen auftreten, da die
Schmerzen zunehmen. Als
weiterer Schwachpunkt erwiesen sich die Knie, die immer wieder in Gefahr
„standen“, auseinander zuklaffen oder nach rechts oder links zu verrutschen.
Ruhigstellung war das Gebot. Dafür besorgte ich ein U-Kissen. Ein Kissen in
U-Form. In
dem U-Bogen des Kissens sollten die Kniekehlen ruhen. Wichtig war, dass die Knie einerseits nicht zu eng beieinander lagern, dass sie
andererseits nicht zu weit auseinander klafften. Das hatte ich genau mit dem
Zentimetermaß nachgemessen. In einem Laden für Kunststoffe bekam ich ein U-förmiges
Kissen nach Maß. Damit die Knieunterlage sich nicht durch das Rütteln seitwärts
verschieben kann, wird sie rechts und links zwischen Wand und Schutzbrett, von
dem im nächsten Abschnitt noch zu reden ist, eingeklemmt. Ein
gepolstertes Seitenbrett
Es
gab noch eine Neuerung. Der TÜV-Vertreter, der - das sei an dieser Stelle noch
einmal dankbar vermerkt - uns in der Frage des Bettes und der Sicherung
kompetent beistand, hatte uns auch angeraten, zusätzlich an der Seite des
Bettes ein gepolstertes Brett anzubringen, das vor dem Herausfallen schützen
sollte. Nach
diesem Brett hatte meine Frau immer wieder verlangt. Nur hatte ich noch keine
Idee, es zu realisieren. Bislang nahm ich immer ein bis zwei Rückenlehnen von
den Sitzpolstern und klemmte sie für die Fahrten seitlich vor das Bett. Ich
konnte meine Frau gut verstehen: Das Bett war ja nur 70 cm breit und man schaute
ohne seitliche Schutzvorrichtung direkt in den Gang, aus einer Höhe von 90 cm,
und in unmittelbarer Absturznähe schon beängstigend, wenn man sich aus körperliche
Gründen nicht selbst festhalten kann. Ich
besorgte für diese Fahrt ein gepolstertes Brett in den notwendigen Ausmaßen,
brachte am Fußende ein bewegliches Winkelbrett an, so dass
es an die Fußwand geschraubt werden konnte. Oben, am Kopfende, wurde es
in die seitliche Polsterung gesteckt. Verrutschen konnte es nicht. Das Brett ist
so hoch, dass meine Frau nicht darüber
rausfallen kann. Sie kann den angstmachenden Gang nicht sehen, aber trotzdem
noch durch das Fenster auf der anderen Seite schauen. Dadurch habe ich jetzt
auch mehr Beinfreiheit, wenn ich die Fahrt unterbrechen und zu ihr gehen muss .
Als seitlich noch die Kissen vor dem Herausfallen schützten und somit den
Mittelgang blockierten, musste ich
immer darüber turnen und aufpassen, dass ich
keines verschob. Manchmal kam ich mir im letzten Jahr wie ein Affe vor, der sich
über Hindernisse, von der Sitzbank zur Anrichte schwang, zumal im Gang auch
noch der Rollstuhl festgeklemmt untergebracht war. Klingelergänzung „Die
Klingel ist meine Lebensversicherung,“ sagt meine Frau immer und meint damit
ihr Handglöckchen. Aber für die Fahrt brauchten wir ein eindeutigeres
Kommunikationsmittel. Sicher kann man mit einer Handglocke lang oder kurz,
einmal oder zweimal schellen. Aber eindeutige Signale kann man nicht damit übermitteln,
ob sofort gehalten werden muss,
oder
es noch Zeit hat. Außerdem wollte ich mich mit meiner Frau während der Fahrt
unterhalten. Angedacht, geplant und diskutiert - auch mit Fachleuten - wurde
vieles, aber das Problem schien schier unlösbar. Ich vertelefonierte viele
Stunden. Wen rief ich nicht an, an wen wurde ich nicht weitervermittelt. Weder
die Uni-HNO-Klinik noch HNO-Arzt, weder Telekom noch Bosch hatten eine Idee.
Naheliegend war ein Babyphon anzuschaffen, oder ein Walkie-talkie. Letzteres war
aber zu schwer, es war auch während der Fahrt für Erika und für mich zu
kompliziert in der Bedienung. Aber wir waren schon auf der richtigen Fährte.
Ein Fachmann brachte uns schließlich eine Gegensprechanlage, die auf Sprechen
hin sich einschaltete. Jedoch war hier wie bei vielen Geräten, die diskutiert
wurden, das Problem, woher bekamen wir Strom? Aufladbare Batterien war das
Zauberwort. Aber die Gelegenheit zum Aufladen fehlte oft auf der Reise. Für das
nächste Jahr muss also eine
bessere Lösung her. Der
Abreisetag rückte immer näher. Einiges hatten wir erst gepackt, es war noch
viel zu tun. Au
Backe, Dein Zahn! Es
ist Sonntagnachmittag. Meine Frau trinkt wie gewohnt ihren Kakao, der ihr von
mir gereicht wird. Dazu gebe ich ihr Yoghurt mit kleingeschnittenen Äpfeln. Das
isst sie nachmittags gern. Sie
liegt in unserem Wohntrakt so, dass sie
sowohl in die Küche sehen kann wie auch auf die Terrasse. Ich springe
zwischendurch, wenn meine Frau kaut, immer wieder in die Küche, um aufzuräumen,
oder zum Sortieren ins Arbeitszimmer, wo sich Berge von einzupackenden Sachen türmen.
Es sind noch 3 Tage bis zu unserer Reise. „Bitte
einen Zahnstocher“ tönt es von der Liege. „Wofür brauchst du einen
Zahnstocher,“ frag ich in Gedanken vertieft und kann mir absolut nicht erklären,
wozu Erika einen Zahnstocher benötigt. Und in meiner Beschäftigung vertieft
frage ich weiter. „Warum brauchst du in den letzten Tagen eigentlich so oft
einen? Den hast du doch früher nicht gebraucht?“ stellte ich fest. „Ich
brauche den für meine Zähne. Wofür denn sonst! Ich mach mir die Zähne
sauber,“ sagt meine Frau lakonisch. Zähne?. Aber ich habe
in all dem Vorbereitungsrummel nicht darüber nachgedacht, dass
sie in den letzten Tagen wiederholt um einen Stocher gebeten hat. Aber
jetzt droht ein Problem. Es wird mir ganz heiß bei den Gedanken, die ich
bekomme. „Hast
du ein Loch im Zahn?“ frage ich und die Angst schaut mir aus den Augen raus.
Es klingt ziemlich drohend, was da über meine Lippen kommt. Ein Loch im Zahn?
Das fehlte uns noch. Heute war Sonntag. Morgen, Montag fuhr ich bis Mittwoch
nach Berlin. Mittwochnachmittag wollten mit auf Urlaubsreise fahren. Mit dem
Wohnmobil. Wann sollten wir zum Zahnarzt? Und wann sollte ich weiter packen? „Laß
mal sehen!“ Erika
öffnete geduldig ihren Mund. Und dann fiel mir fast nichts mehr ein: Denn,
meine Frau hatte ein Loch im Zahn. Und was für eins, ein tiefes, und hatte
nichts gesagt. „Au
Backe, dein Zahn hat ein Riesenloch!“ Und nach einer kleinen Pause. „Hast du
denn das nicht gemerkt?“ frage ich ziemlich sauer. „Doch,“
war die sehr kurze Antwort meiner Frau. „Aber
wir wollen doch am Mittwoch nach Fatima abfahren! Und jetzt?“ fragte ich
weiter mit wütendem Unterton. „Zum
Zahnarzt,“ meinte meine Frau kurz und bündig.. „Warum
hast du nicht eher gesagt, dass dir
eine Plombe herausgefallen ist. Wann sollen wir denn zum Zahnarzt, wenn wir am
Mittwoch schon losfahren. Außerdem ist der am Mittwochnachmittag nicht da.“
Mensch, was bin ich wütend! „Warum hast du nichts gesagt?“ „Ich
hatte Angst,“ sagt Erika. „Angst?“
frage ich zurück. „Beim
letzten Mal hat es so weh getan.“ Beim
letzten Mal. Mein Gott, richtig, wir hatten ja nicht nur den Augenarzt wegen
Medikamente konsultiert - Erika bekam bei starkem Wind, besonders an der See
immer Augenentzündungen. Auch die Zähne hatten wir überprüfen lassen.
Richtig, der Zahnstein wurde entfernt und das hatte geblutet „Was
sollen wir jetzt tun?“ frage ich nochmals, mehr an mich gerichtet als an
Erika. Ich bin immer noch erregt und ratlos, und sauer darüber, weil ich keine
Idee habe, das Problem zu lösen. Erst muss
Erika jetzt weiteressen, aber großen Appetit hat sie nicht mehr. Ich
muss ihr gut zureden. Das war kein
guter Zeitpunkt für meine Standpauke, denke ich. Aber was mache ich nur? Eins
wird mir klar: Ganz schnell muss ein
Arzttermin herbei. „Ruf
doch den Zahnarzt zu Hause an!“ schlägt meine Frau vor. „Heute
ist Sonntag“ - es war der 6. Juli 97 „du kriegst doch heute unseren Zahnarzt
nicht. Übrigens kommt dein Vorschlag aber spät. Du weißt doch von morgen an
bis Mittwoch bin ich in Berlin. Wer weiß ob du am Mittwochmorgen einen Termin
beim Zahnarzt bekommst. Außerdem wollte ich erst am Mittwoch aus Berlin kommen.
Alles muss ich jetzt umplanen. Dann
muss ich die letzten Sachen, die
ich am Mittwoch packen wollte, ja heute noch erledigen.“ „Wir
kennen Dr. Schulze doch gut. Er wird das sicher verstehen.“ Wir kannten ihn
wirklich gut, und zu Hause bei uns hatte er Erikas Zähne sogar schon
„repariert“. „Der
will doch auch seinen Sonntag haben,“ gebe ich noch einmal zu bedenken. „Außerdem
kann der doch von Daheim aus nicht sagen, wann du kommen kannst, der hat doch
nicht den Praxiskalender mit nach Hause genommen.“ Wir
mussten einen Termin bekommen,
sonst, ja sonst klappte unsere Planung gleich am Anfang nicht. Wenn ich zu
diesem Zeitpunkt gewusst hätte,
was unsere Planung noch durcheinandergebracht hätte, wir wären verzweifelt
gewesen und hätten den Mut völlig verloren. Aber
dann kommt mir eine Idee. „Ich rufe am Montagmittag gleich von Berlin aus beim
Zahnarzt an. Der Zahnarzt weiß ja, dass wir
auf dem Absprung sind. Vielleicht kannst du am Mittwochmorgen eben
drankommen.“ Jetzt war mir schon wohler und ich hörte auch den Stein von
Erikas Herzen runterplumpsen. Beim
Zahnarzt hat man für uns großes Verständnis. Ich kann am Montagmittag von
Berlin aus für Erika tatsächlich noch einen Termin für Mittwochmorgen
festlegen. Ich
komme also extra früher aus Berlin, erreiche in der späten Nacht von Dienstag
auf den Mittwoch Albersloh. Um 10 Uhr am anderen Morgen sollen wir beim Zahnarzt
sein. D.h. nach der flüssigen Kost - Nutricomp - um 7.30 Uhr wie an jedem
Morgen meine Frau waschen, selbst duschen, beide anziehen und ab nach Münster.
¼ Stunde müssen wir immer für das Einladen in das Auto rechnen. Also geht es
um 9.15 Uhr nach draußen zum Bulli. „Haben
wir auch nicht die Lagerungskissen für den „Marterstuhl“ vergessen?“
„Nein, ist alles mitgekommen.“ Wir
finden einen Parkplatz im Parkhaus, nahe beim Arzt, und dann kommt der erste
Kraftakt für mich. Der Aufzug kann ja den Rollstuhl nicht fassen, obwohl meine
Frau einen kleinen Sportrollstuhl hat. Aber das wussten
wir schon. Schließlich waren wir nicht das erste Mal hier. Also zuerst
einmal in der Praxis Bescheid geben, dass wir
da sind. Einen Moment dauert es. Dann läuft die Organisation an. Die
Arzthelferinnen und selbst der Doktor kommen mit nach unten, wo meine Frau schon
im Rollstuhl wartet. Kissen, Decken werden verteilt, ich nehme meine Frau auf
die Arme, der Arzt selbst trägt den Rollstuhl und die Karawane setzt sich in
Bewegung. Gott sei dank! Es geht nur eine Etage hoch. Aber die Treppe hat es in
sich. Mit Kurve! und dann noch steil. Oben
geht es gleich zum Behandlungsstuhl. Hinlegen und Lagern. Trösten. Meine Frau
hat mächtig angst! Seit dem Schlaganfall ist sie sehr schmerzempfindlich, überall,
auch auf der Haut. Das hat sich nur wenig gebessert. Der
Zahnarzt beginnt mit der Behandlung. Er schaut alles nach. Besonders das Loch
auf der rechten Seit oben! Dann wendet er sich, seine Instrumente noch in der
Hand, an mich. Seine Diagnose und Erklärung ist beruhigend. Der getadelte Zahn
sitzt innerhalb einer Brücke, hat die Verbindung zum Zahnfleisch verloren. Das
Loch will er nicht schließen, denn dann könnte sich etwas zwischen Restzahn
und Zahnfleisch setzten, das sehr schwierig zu entfernen sei und drückt, und
dann könne sich das Zahnfleisch entzünden. Mittels Zahnöffnung sei das mit
einem Zahnstocher sehr gut zu regulieren. Ich atme auf. Alles o.K. „Aber,“
sagt er dann, „das Loch ist schon alt.“ Er schaut von seiner Karte hoch.
„Das war auch schon das letzte Mal da, als sie hier waren, vor 14 Tagen.“ Naja,
denke ich, dann brauche ich mir ja wirklich keine Sorge machen. Jetzt schaut er
über seine Brille weg mich direkt an: „ Das habe ich Ihnen aber auch schon
beim letzten Mal alles erzählt.“ Ich
traue meinen Ohren nicht und dann dämmert es, langsam, langsam. Genau! Dann hätten
wir die ganze Aufregung uns ja sparen können! Ich geniere mich und möchte mich
am liebsten in nichts auflösen. Das hatte ich doch glatt vergessen. Der
Arzt scheint meinen Zustand zu ahnen, findet sogar noch einen
Entschuldigungsgrund: „Bei ihren Belastungen kann das schon vorkommen.“ Ich
stammle ein „Entschuldigung“ und dann bin
ich froh, dass alles schnell retour
geht. Meine Frau auf den Armen, die Treppe hinunter usw. Nur - der Rollstuhl
muss vor uns unten sein, damit ich
meine Frau nicht so lange tragen muss , und alles muss
im Stuhl richtig - d. h. ohne „Knubbel“ - sein. Wir
bekommen noch „Gute Reise“ auf den Weg, ich bedanke mich für alles. Dann
sind wir draußen. Als erstes muss ich
gleich, wenn wir im Wagen sitzen, bei meiner Frau Abbitte tun für mein
Geschimpfe und meine Vorwürfe. Dieser
Zeitverlust und diese Anstrengung beim Zahnarzt gehen auf mein Schuldenkonto. Au
Backe! Reiseroute
und Übersicht über Reiseverlauf
Bis
Fatima in Portugal fuhren wir ca. 2800 km. Es
ging mit dem Wohnmobil quer durch Frankreich zum Atlantik, wo wir für ein paar
Tage blieben und vorher auch gebucht hatten. Dann die Nordküste Spaniens
entlang bis nach El Broa. Meist sehr langsam und sehr mühsam, da die Straßen
schmal waren. Und unendlich viele Dörfer mussten
wir durchqueren, so kam es mir vor. In Wirklichkeit gibt es da aber gar
nicht so viele Ortschaften. Von
El Broa aus ging es in südwestlicher Richtung durch das Gebirge direkt nach
Santiago de Compostela - noch immer in Spanien, dann weiter nach Coimbra in
Portugal. Santiago de Compostele Von
da war es bis Fatima nicht mehr weit. Zur Übernachtung wollten wir nur eine
Nacht in Tomar - ca. 20 km entfernt - bleiben, blieben aber länger, es gab so
viel zu sehen, außerdem musste ich
mich von meiner „Achterbahnfahrt mit Todeskurven“ erholen, die wir dort mehr
ungewollt als geplant erlebten. Über
Fatima - ja, ein zweiter Besuch - kamen wir nach Lissabon, wo keine Straßenkarte
stimmte. Wir waren deshalb nicht die einzigen, die sich verfuhren. Aber die
Portugiesen sind hilfreiche Menschen. Sollte es ein Vorurteil sein, dass
die Frauen dort spontaner sich aktivieren? Das
nächste Ziel lag westwärts: Evora, wo wir den heißesten Abend unseres Lebens
erlebten. Weiter nach Süden ging es. Durch ein karges Land. Belebt - so schien
es - waren immer nur die Seiten rechts und links der Straßen. Nach
einigen kleinen Staus kamen wir an unserem zweiten bestellten Campingplatz in
der Algarve an, an dem wir längere Zeit Zwischenstation machen. Nach zehn Tagen
aber wollen wir fort. Also Aufbruch, allein deswegen, weil Erika wegen großer Höhenunterschiede
im Camp nicht einmal 20m weit mit dem Rollstuhl gefahren werden konnte. Wir
fahren westlich zum südwestlichen Zipfel Europas: Cabo de Sao Vincente. Wo war
das Kap, wo das Meer? Alles im Nebel versunken. Zurück
ins Landesinnere Richtung Gibraltar. Wir campen in Tarifa. Ist die Sicht besser,
damit wir Afrika sehen können? Die
nächste Station ist die Alhambra in Granada. Danach sind wir ferienreif. Alles
Sehenswerte bleibt nun rechts und links unbeachtet liegen. Wir
wollen noch über Murcia nach Cartagena: El Portus und Ruhe. Enttäuschung! Der
Campingplatz ist bis auf 2 Plätze ausgebucht, man hatte uns doch telefonisch
mitgeteilt, eine Buchung sei nicht nötig. Und was sind das für Plätze? Eckplätze,
weit ab vom Meer. Dennoch bleiben wir, bleiben wir, bleiben wir. Wie andere, die
immer wiederkommen oder hier überwintern. In Portus Dann
geht es Richtung Heimat. Eine kurze Verschnaufpause von 2 Tagen südlich von
Tarragona an der Costa Dorado im „Tempel des Sonnengottes“, der nicht geizt
mit Überraschungen. Dann
packt uns das Kalkül oder ist es das Heimweh? In 41 Stunden fahren wir, ca. 20
km südlich von Tarragona, mit einer Übernachtung - Mo.-Abend 22.00 Uhr bis
Di.-Morgen 7.00 Uhr - bis vor die Haustür. Wo
sind die Fahnen, wo das Rampenlicht? Ach, es rechnet ja keiner mit uns, die wir
am Montag gegen 8.30 Uhr aufbrachen, dass wir
schon am Mittwoch um Mitternacht 0.30 Uhr „Abschlau“ erreichten. Erst viel,
viel später, am Freitag hatte man uns erwartet. Also schleichen wir ins Haus.
Alles schläft. Die Nachbarn auch. Ich folge in das Reich der Träume. Nur meine
Frau findet keine Nachtruhe. Sie hat ja auch während der Fahrt geschlafen.
Dunkel genug war es dafür, als ich durch Deutschland fuhr.
Die Einzelheiten der Reise Der Verlauf der Reise war ungefähr entsprechend der Planung. Nur - es war eine Reise der Überraschungen, die manchmal die Fortsetzung der Fahrt ernsthaft gefährdeten. Schon in der Planungszeit war der Wurm drin.
Nachruf Aus ihrem Leben Erikas Gedichte Anekdoten Veröffentlichungen 48! Und behindert Erikas Sprüche Erikas Rätsel Immer Weihnachten Trotz allem reisen Gedichte an Erika Fotogalerie
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