Diese Seite ist eine Liebeserklärung an meine Frau, Lebensgefährtin und Geliebte. Sie wurde am 13.12.1935 geboren und starb nach 16-jähriger Lähmung am 24.3.2000.     

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Wohnm97.jpg (4592 Byte)   Ich lieh dir meine Hände

Bildungs-, Pilger- und Erholungsfahrt mit Rollstuhl und Wohnmobil durch Europa

von Erika und Winfried Kerkhoff

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Santiago de Compostela, Fatima, Granada

Guten Tag, Ihr Lieben! Bonjour! Bom dia! Buenos dias!

Verschiedene haben angefragt und schon gemahnt. Sie wollten Näheres über unsere Ferienfahrt 1997 hören. Zunächst: die Länder, die wir besuchten, kann man aus der obigen Anrede enträtseln, wenn Ihr sehr neugierig seid. Und damit ist die Frage, ob wir denn wirklich unsere Planung realisieren konnten, mit Ja zu beantworten.

Und wie es uns ergangen ist? Diese Antwort ist schon nicht mehr so eindeutig zu geben - mit einem Gut. Zu einem Aber „mit ein paar Einschränkungen“ müssten  wir uns schon der Wahrheit halber entschließen. Wir hatten vor und auf der Fahrt ein paar „Schrammen“ zu erdulden. Federn lassen, hätte ich gesagt, wenn wir Vögel gewesen und geflogen wären. Aber das Wichtigste ist: Wir sind gesund und erholt zurückgekommen. Ich hoffe, dass  ihr den Brief jetzt nicht weglegt und sagt: „O.K. Mehr wollten wir nicht wissen.“

Ich glaube, dass  wir schon einiges Interessantes erlebt haben. Doch können wir bei weitem nicht alles - und auch nicht in der Ausführlichkeit - berichten. Die Eindrücke und Ereignisse waren derart zahlreich, dass  es diesen Bericht sprengen würde. Ich will Euch ja auch nicht ein Paket schicken. Deswegen habe ich vor, alle unsere „Pilgerfahrten“ nach Lourdes, nach Rom und nach Santiago/Fatima in einem Büchlein zusammenzufassen. Titel „Mit Rollstuhl und Wohnmobil auf Pilger- und Vergnügungsfahrt“ ? Hier in diesem Bericht gibt es also nur einige Bonbons - nicht Bonmots, ich habe mich nicht verschrieben -, und einige sind sehr, sehr sauer. Saure Drops.

 

Hemmnisse

Der Bericht ist erst jetzt fertig. Das hatte Gründe. Zunächst habe ich viel und lange im Urlaub am Steuer unseres Wohnmobils gesessen und hatte, als wir endlich in der Algarve (Portugal) bzw. in El Portus (Spanien) ausruhten, keine Lust zu schreiben. Ich führte meistens nur stichpunktartig Tagebuch auf dem Computer. Zuhause dann drängte sich die Endplanung eines Buches - eine Sammlung der Vorträge unserer Ausstellung zur Kunst behinderter Menschen im Herbst 1996 in Berlin - in den Vordergrund. Leider war ich nicht raffiniert genug im Herbst 1996, mich bei den Vorträgen dieser Tagung rauszuhalten. Aber - wer tut das auch schon, wenn er Mitveranstalter einer Ausstellung und Tagung ist; dann hätte ich früher Zeit für den Urlaubsbericht gehabt.

Und dann war da ja auch noch die Krippe. Für dieses Jahr stand der vierte König auf der Arbeitsliste - ich glaube den gibt es bei Edzard Schaper als Buch - und bei Kerkhoffs auf der Krippe. Ein chinesischer Kaiser! Chinesisch aussehende Kleiderstoffe für ihn und seinen Begleiter haben Erika und ich gekauft. Der „vierte König“ mußte natürlich auch dem Kind in der Krippe etwas mitbringen. Gold., Weihrauch und Myrrhe sind schon vergeben. Was blieb noch übrig? Edelsteine?

Erika wusste  es besser. „Der führt einen Tiger an der Leine“, schlug sie vor.

„Einen Tiger? Einen Tiger. Mh, mh! Aber der Tiger muss  weiß sein“, befand ich.

Wir waren über den Einfall begeistert. So war’s entschieden. Wollt ihr unser neuestes Werk bewundern, dann seid Ihr herzlich eingeladen.

Und nun - vielleicht habt Ihr ja an den Weihnachtstagen ein Stündchen Zeit, den nachfolgenden Bericht über unsere „Wallfahrts-, Bildungs- und Vergnügungsreise“ zu lesen.

 

Planung

Dass wir 1997 nach Fatima fuhren, stand ja schon 1996 vor dem Urlaub nach Rom fest. So kauften wir recht früh Bücher über Portugal und Spanien. Schrieben Fremdenverkehrsämter der Länder und die Automobilclubs an, um Informationen über das Reisen mit einem Wohnmobil in den genannten Ländern zu erhalten. Enttäuschend. Unsere Wünsche waren zu speziell. Wir fanden schließlich selbst auf einer Buch-CD, die über alle z.Z. lieferbaren Veröffentlichungen informiert, Bücher über Reiseerfahrungen einiger Wohnmobilcamper. Schon früh hingen bei uns im Wohnzimmer an einer Staffelei Straßenkarten in unterschiedlichen Maßstäben, Größen und Teilansichten von Deutschland, Frankreich, Portugal und Spanien, auf denen wir unsere Reiseroute markierten. So kam die alte Staffelei, an der mein Vater so oft und lange während seiner frühen Pensionszeit gesessen und Rötel- und Kohlezeichnungen angefertigte hatte, zu Ehren.

Erika, die tagsüber auf der Urlaubsliege vorn im Wohnzimmer lag, hatte so die Reiseroute im Ganzen und in Teilen stets vor Augen. Oft sprachen wir auch darüber. Eine Grobplanung unserer Reise mit Aufenthaltszeiträumen war bald auf dem Computer erstellt. Mögliche Besichtigungsorte und wichtige Campingplatze waren schnell ausgesucht, aber immer neue Aspekte kamen hinzu, wurden diskutiert und teils auch wieder verworfen. Aber es fehlte die letzte Entscheidung.

In diese Vorbereitungszeit hinein kam die erste Bremsung. Schon seit längerer Zeit war abzusehen, dass ich mich einer kleinen Operation, nicht lebensgefährlich, aber unangenehm, unterziehen musste. Lange hinausgeschoben, half nun eigentlich keine Verzögerungstaktik mehr. Es war kurz vor Weihnachten 1996. Keine günstige Zeit. Als ich nämlich nach 4 Tagen wiederkam, musste ich noch liegen, durfte nicht heben. Der Hausarzt übernahm die Wundversorgung für die 14 Tage nach der Entlassung. Die Krankenschwestern versorgten meine Frau zusätzlich, die Kinder packten mit an. Schonung stand auf meinem Tagesplan an erster Stelle! Nicht leicht durchzuhalten angesichts unserer familiären Lage. Alles brauchte nun mehr Zeit, obwohl ich vier Wochen krank geschrieben wurde und nicht nach Berlin brauchte. Auch die Reiseplanung für Spanien und Portugal litt darunter. Da die Heilung wenig Fortschritte machte, musste ich sogar nach Weihnachten 1996, also im neuen Jahr (1997) fast wöchentlich zur Untersuchung ins Krankenhaus nach Münster. Schließlich schlug der Arzt eine zweite Operation vor, wenn die Schmerzen wegen des geringen Fortschrittes der Heilung aufhören sollten. Ich sagte zu, aber machte zur Bedingung, dass ich nach der Operation nach Hause fahren durfte, wegen Erika. Der Arzt und ich einigten uns schließlich darauf, dass ich mindestens eine Nacht im Krankenhaus blieb. Zu Hause durfte ich wieder nicht heben, musste wieder viel liegen, musste noch vorsichtiger sein, war wieder vier Wochen krank geschrieben und musste wochenlang jede Woche zur Untersuchung nach Münster ins Krankenhaus. Nur langsam heilte alles aus. Aber der Zeitverlust war enorm. Auch die Examensarbeiten waren liegengeblieben. Nur meine Studenten/innen in der Schule hatten weitergearbeitet. Das fand ich ganz toll.

Etwas unwohl fühlte ich mich schon bei dem Gedanken, dass ich die Landstraßennummern unserer Reise noch nicht wusste und auch nicht die Campingplätze, an denen wir jeweils am Abend übernachten könnten, und ich war zu Beginn der Reise nicht besser informiert. Nur die großen Stationen waren festgelegt. Auch die Tagesrouten waren nur grob nach Tageskilometern, nämlich ca. 250 pro Tag, geplant. Für die genaue Planung hatte ich das Laptop und die CD für Campingplätze und auch mehrere Campingführer eingepackt. Einen CD-Player für das Laptop musste ich mir für diese Aufgaben natürlich auch kaufen. Abends im Urlaub wollte ich jeweils für den nächsten Tag planen. Ich hoffte, dazu nicht zu müde zu sein. Außerdem hoffte ich auf die Zwischenstation in Frankreich am Ozean, wo wir ein paar Tage ausruhen wollten.

 

U-Kissen

Zur Erinnerung: Meine Frau darf lt. TÜV während der Fahrt mit dem Wohnmobil auf einem speziell genehmigten Bett angeschnallt gefahren werden. So steht es in den Wagenpapieren. Eigentlich darf man in einem Wohnmobil nur auf den genehmigten Sitzplätzen während der Reise sitzen.

Bei der letzten Ferienfahrt war es ja öfter vorgekommen, dass  ich wegen der Veränderung der Körperlage meiner Frau, infolge Rütteln oder Spasmen, anhalten musste  und oft in

große Schwierigkeiten kam, da ja ein Halten auf jeder Straße nicht möglich oder erlaubt ist.

Es zeigte sich, dass Erika weniger Probleme hatte, wenn sie Schuhe trägt. Dann fühlt sie nicht so sehr, dass evtl. die Strümpfe an den Zehen zu eng sitzen. Dann drückt oder hakt der Strumpf nicht an den großen Zehen. Die Lagerung ist auch einfacher, da die Schuhe besser mit dem Absatz auf dem Untergrund aufliegen und sicherer gegen ein schräges Kissen drücken, das vor Spitzfüßen schützt. Es scheint ein kleines Problem zu sein, hat aber enorme Wirkung: man muss  halten, wenn Probleme mit den Füßen auftreten, da die Schmerzen zunehmen.

Als weiterer Schwachpunkt erwiesen sich die Knie, die immer wieder in Gefahr „standen“, auseinander zuklaffen oder nach rechts oder links zu verrutschen. Ruhigstellung war das Gebot. Dafür besorgte ich ein U-Kissen. Ein Kissen in U-Form.

In dem U-Bogen des Kissens sollten die Kniekehlen ruhen. Wichtig war, dass  die Knie einerseits nicht zu eng beieinander lagern, dass sie andererseits nicht zu weit auseinander klafften. Das hatte ich genau mit dem Zentimetermaß nachgemessen. In einem Laden für Kunststoffe bekam ich ein U-förmiges Kissen nach Maß. Damit die Knieunterlage sich nicht durch das Rütteln seitwärts verschieben kann, wird sie rechts und links zwischen Wand und Schutzbrett, von dem im nächsten Abschnitt noch zu reden ist, eingeklemmt.

 

Ein gepolstertes Seitenbrett

Es gab noch eine Neuerung. Der TÜV-Vertreter, der - das sei an dieser Stelle noch einmal dankbar vermerkt - uns in der Frage des Bettes und der Sicherung kompetent beistand, hatte uns auch angeraten, zusätzlich an der Seite des Bettes ein gepolstertes Brett anzubringen, das vor dem Herausfallen schützen sollte.

Nach diesem Brett hatte meine Frau immer wieder verlangt. Nur hatte ich noch keine Idee, es zu realisieren. Bislang nahm ich immer ein bis zwei Rückenlehnen von den Sitzpolstern und klemmte sie für die Fahrten seitlich vor das Bett. Ich konnte meine Frau gut verstehen: Das Bett war ja nur 70 cm breit und man schaute ohne seitliche Schutzvorrichtung direkt in den Gang, aus einer Höhe von 90 cm, und in unmittelbarer Absturznähe schon beängstigend, wenn man sich aus körperliche Gründen nicht selbst festhalten kann.

Ich besorgte für diese Fahrt ein gepolstertes Brett in den notwendigen Ausmaßen, brachte am Fußende ein bewegliches Winkelbrett an, so dass  es an die Fußwand geschraubt werden konnte. Oben, am Kopfende, wurde es in die seitliche Polsterung gesteckt. Verrutschen konnte es nicht. Das Brett ist so hoch, dass  meine Frau nicht darüber rausfallen kann. Sie kann den angstmachenden Gang nicht sehen, aber trotzdem noch durch das Fenster auf der anderen Seite schauen. Dadurch habe ich jetzt auch mehr Beinfreiheit, wenn ich die Fahrt unterbrechen und zu ihr gehen muss . Als seitlich noch die Kissen vor dem Herausfallen schützten und somit den Mittelgang blockierten, musste  ich immer darüber turnen und aufpassen, dass  ich keines verschob. Manchmal kam ich mir im letzten Jahr wie ein Affe vor, der sich über Hindernisse, von der Sitzbank zur Anrichte schwang, zumal im Gang auch noch der Rollstuhl festgeklemmt untergebracht war.

 

Klingelergänzung

„Die Klingel ist meine Lebensversicherung,“ sagt meine Frau immer und meint damit ihr Handglöckchen. Aber für die Fahrt brauchten wir ein eindeutigeres Kommunikationsmittel. Sicher kann man mit einer Handglocke lang oder kurz, einmal oder zweimal schellen. Aber eindeutige Signale kann man nicht damit übermitteln, ob sofort gehalten werden muss, oder es noch Zeit hat. Außerdem wollte ich mich mit meiner Frau während der Fahrt unterhalten. Angedacht, geplant und diskutiert - auch mit Fachleuten - wurde vieles, aber das Problem schien schier unlösbar. Ich vertelefonierte viele Stunden. Wen rief ich nicht an, an wen wurde ich nicht weitervermittelt. Weder die Uni-HNO-Klinik noch HNO-Arzt, weder Telekom noch Bosch hatten eine Idee. Naheliegend war ein Babyphon anzuschaffen, oder ein Walkie-talkie. Letzteres war aber zu schwer, es war auch während der Fahrt für Erika und für mich zu kompliziert in der Bedienung. Aber wir waren schon auf der richtigen Fährte. Ein Fachmann brachte uns schließlich eine Gegensprechanlage, die auf Sprechen hin sich einschaltete. Jedoch war hier wie bei vielen Geräten, die diskutiert wurden, das Problem, woher bekamen wir Strom? Aufladbare Batterien war das Zauberwort. Aber die Gelegenheit zum Aufladen fehlte oft auf der Reise. Für das nächste Jahr muss  also eine bessere Lösung her.

Der Abreisetag rückte immer näher. Einiges hatten wir erst gepackt, es war noch viel zu tun.

 

Au Backe, Dein Zahn!

Es ist Sonntagnachmittag. Meine Frau trinkt wie gewohnt ihren Kakao, der ihr von mir gereicht wird. Dazu gebe ich ihr Yoghurt mit kleingeschnittenen Äpfeln. Das isst  sie nachmittags gern. Sie liegt in unserem Wohntrakt so, dass  sie sowohl in die Küche sehen kann wie auch auf die Terrasse. Ich springe zwischendurch, wenn meine Frau kaut, immer wieder in die Küche, um aufzuräumen, oder zum Sortieren ins Arbeitszimmer, wo sich Berge von einzupackenden Sachen türmen. Es sind noch 3 Tage bis zu unserer Reise.

„Bitte einen Zahnstocher“ tönt es von der Liege. „Wofür brauchst du einen Zahnstocher,“ frag ich in Gedanken vertieft und kann mir absolut nicht erklären, wozu Erika einen Zahnstocher benötigt. Und in meiner Beschäftigung vertieft frage ich weiter. „Warum brauchst du in den letzten Tagen eigentlich so oft einen? Den hast du doch früher nicht gebraucht?“ stellte ich fest.

„Ich brauche den für meine Zähne. Wofür denn sonst! Ich mach mir die Zähne sauber,“ sagt meine Frau lakonisch. Zähne?. Aber ich habe  in all dem Vorbereitungsrummel nicht darüber nachgedacht, dass  sie in den letzten Tagen wiederholt um einen Stocher gebeten hat. Aber jetzt droht ein Problem. Es wird mir ganz heiß bei den Gedanken, die ich bekomme.

„Hast du ein Loch im Zahn?“ frage ich und die Angst schaut mir aus den Augen raus. Es klingt ziemlich drohend, was da über meine Lippen kommt. Ein Loch im Zahn? Das fehlte uns noch. Heute war Sonntag. Morgen, Montag fuhr ich bis Mittwoch nach Berlin. Mittwochnachmittag wollten mit auf Urlaubsreise fahren. Mit dem Wohnmobil. Wann sollten wir zum Zahnarzt? Und wann sollte ich weiter packen? „Laß mal sehen!“

Erika öffnete geduldig ihren Mund. Und dann fiel mir fast nichts mehr ein: Denn, meine Frau hatte ein Loch im Zahn. Und was für eins, ein tiefes, und hatte nichts gesagt.

„Au Backe, dein Zahn hat ein Riesenloch!“ Und nach einer kleinen Pause. „Hast du denn das nicht gemerkt?“ frage ich ziemlich sauer.

„Doch,“ war die sehr kurze Antwort meiner Frau.

„Aber wir wollen doch am Mittwoch nach Fatima abfahren! Und jetzt?“ fragte ich weiter mit wütendem Unterton.

„Zum Zahnarzt,“ meinte meine Frau kurz und bündig..

„Warum hast du nicht eher gesagt, dass  dir eine Plombe herausgefallen ist. Wann sollen wir denn zum Zahnarzt, wenn wir am Mittwoch schon losfahren. Außerdem ist der am Mittwochnachmittag nicht da.“ Mensch, was bin ich wütend! „Warum hast du nichts gesagt?“

„Ich hatte Angst,“ sagt Erika.

„Angst?“ frage ich zurück.

„Beim letzten Mal hat es so weh getan.“

Beim letzten Mal. Mein Gott, richtig, wir hatten ja nicht nur den Augenarzt wegen Medikamente konsultiert - Erika bekam bei starkem Wind, besonders an der See immer Augenentzündungen. Auch die Zähne hatten wir überprüfen lassen. Richtig, der Zahnstein wurde entfernt und das hatte geblutet

„Was sollen wir jetzt tun?“ frage ich nochmals, mehr an mich gerichtet als an Erika. Ich bin immer noch erregt und ratlos, und sauer darüber, weil ich keine Idee habe, das Problem zu lösen. Erst muss  Erika jetzt weiteressen, aber großen Appetit hat sie nicht mehr. Ich muss  ihr gut zureden. Das war kein guter Zeitpunkt für meine Standpauke, denke ich. Aber was mache ich nur? Eins wird mir klar: Ganz schnell muss  ein Arzttermin herbei.

„Ruf doch den Zahnarzt zu Hause an!“ schlägt meine Frau vor.

„Heute ist Sonntag“ - es war der 6. Juli 97 „du kriegst doch heute unseren Zahnarzt nicht. Übrigens kommt dein Vorschlag aber spät. Du weißt doch von morgen an bis Mittwoch bin ich in Berlin. Wer weiß ob du am Mittwochmorgen einen Termin beim Zahnarzt bekommst. Außerdem wollte ich erst am Mittwoch aus Berlin kommen. Alles muss  ich jetzt umplanen. Dann muss  ich die letzten Sachen, die ich am Mittwoch packen wollte, ja heute noch erledigen.“

 „Wir kennen Dr. Schulze doch gut. Er wird das sicher verstehen.“ Wir kannten ihn wirklich gut, und zu Hause bei uns hatte er Erikas Zähne sogar schon „repariert“.

 „Der will doch auch seinen Sonntag haben,“ gebe ich noch einmal zu bedenken. „Außerdem kann der doch von Daheim aus nicht sagen, wann du kommen kannst, der hat doch nicht den Praxiskalender mit nach Hause genommen.“

Wir mussten  einen Termin bekommen, sonst, ja sonst klappte unsere Planung gleich am Anfang nicht. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt gewusst  hätte, was unsere Planung noch durcheinandergebracht hätte, wir wären verzweifelt gewesen und hätten den Mut völlig verloren.

Aber dann kommt mir eine Idee. „Ich rufe am Montagmittag gleich von Berlin aus beim Zahnarzt an. Der Zahnarzt weiß ja, dass  wir auf dem Absprung sind. Vielleicht kannst du am Mittwochmorgen eben drankommen.“ Jetzt war mir schon wohler und ich hörte auch den Stein von Erikas Herzen runterplumpsen.

Beim Zahnarzt hat man für uns großes Verständnis. Ich kann am Montagmittag von Berlin aus für Erika tatsächlich noch einen Termin für Mittwochmorgen festlegen.

Ich komme also extra früher aus Berlin, erreiche in der späten Nacht von Dienstag auf den Mittwoch Albersloh. Um 10 Uhr am anderen Morgen sollen wir beim Zahnarzt sein. D.h. nach der flüssigen Kost - Nutricomp - um 7.30 Uhr wie an jedem Morgen meine Frau waschen, selbst duschen, beide anziehen und ab nach Münster. ¼ Stunde müssen wir immer für das Einladen in das Auto rechnen. Also geht es um 9.15 Uhr nach draußen zum Bulli.

„Haben wir auch nicht die Lagerungskissen für den „Marterstuhl“ vergessen?“ „Nein, ist alles mitgekommen.“

Wir finden einen Parkplatz im Parkhaus, nahe beim Arzt, und dann kommt der erste Kraftakt für mich. Der Aufzug kann ja den Rollstuhl nicht fassen, obwohl meine Frau einen kleinen Sportrollstuhl hat. Aber das wussten  wir schon. Schließlich waren wir nicht das erste Mal hier. Also zuerst einmal in der Praxis Bescheid geben, dass  wir da sind. Einen Moment dauert es. Dann läuft die Organisation an. Die Arzthelferinnen und selbst der Doktor kommen mit nach unten, wo meine Frau schon im Rollstuhl wartet. Kissen, Decken werden verteilt, ich nehme meine Frau auf die Arme, der Arzt selbst trägt den Rollstuhl und die Karawane setzt sich in Bewegung. Gott sei dank! Es geht nur eine Etage hoch. Aber die Treppe hat es in sich. Mit Kurve! und dann noch steil.

Oben geht es gleich zum Behandlungsstuhl. Hinlegen und Lagern. Trösten. Meine Frau hat mächtig angst! Seit dem Schlaganfall ist sie sehr schmerzempfindlich, überall, auch auf der Haut. Das hat sich nur wenig gebessert.

Der Zahnarzt beginnt mit der Behandlung. Er schaut alles nach. Besonders das Loch auf der rechten Seit oben! Dann wendet er sich, seine Instrumente noch in der Hand, an mich. Seine Diagnose und Erklärung ist beruhigend. Der getadelte Zahn sitzt innerhalb einer Brücke, hat die Verbindung zum Zahnfleisch verloren. Das Loch will er nicht schließen, denn dann könnte sich etwas zwischen Restzahn und Zahnfleisch setzten, das sehr schwierig zu entfernen sei und drückt, und dann könne sich das Zahnfleisch entzünden. Mittels Zahnöffnung sei das mit einem Zahnstocher sehr gut zu regulieren. Ich atme auf. Alles o.K.

„Aber,“ sagt er dann, „das Loch ist schon alt.“ Er schaut von seiner Karte hoch. „Das war auch schon das letzte Mal da, als sie hier waren, vor 14 Tagen.“

Naja, denke ich, dann brauche ich mir ja wirklich keine Sorge machen. Jetzt schaut er über seine Brille weg mich direkt an: „ Das habe ich Ihnen aber auch schon beim letzten Mal alles erzählt.“

Ich traue meinen Ohren nicht und dann dämmert es, langsam, langsam. Genau! Dann hätten wir die ganze Aufregung uns ja sparen können! Ich geniere mich und möchte mich am liebsten in nichts auflösen. Das hatte ich doch glatt vergessen.

Der Arzt scheint meinen Zustand zu ahnen, findet sogar noch einen Entschuldigungsgrund: „Bei ihren Belastungen kann das schon vorkommen.“

Ich stammle ein „Entschuldigung“ und dann  bin ich froh, dass  alles schnell retour geht. Meine Frau auf den Armen, die Treppe hinunter usw. Nur - der Rollstuhl muss  vor uns unten sein, damit ich meine Frau nicht so lange tragen muss , und alles muss  im Stuhl richtig - d. h. ohne „Knubbel“ - sein.

Wir bekommen noch „Gute Reise“ auf den Weg, ich bedanke mich für alles. Dann sind wir draußen. Als erstes muss  ich gleich, wenn wir im Wagen sitzen, bei meiner Frau Abbitte tun für mein Geschimpfe und meine Vorwürfe.

Dieser Zeitverlust und diese Anstrengung beim Zahnarzt gehen auf mein Schuldenkonto. Au Backe!

 

Reiseroute und Übersicht über Reiseverlauf

Bis Fatima in Portugal fuhren wir ca. 2800 km.

Es ging mit dem Wohnmobil quer durch Frankreich zum Atlantik, wo wir für ein paar Tage blieben und vorher auch gebucht hatten. Dann die Nordküste Spaniens entlang bis nach El Broa. Meist sehr langsam und sehr mühsam, da die Straßen schmal waren. Und unendlich viele Dörfer mussten  wir durchqueren, so kam es mir vor. In Wirklichkeit gibt es da aber gar nicht so viele Ortschaften.

Von El Broa aus ging es in südwestlicher Richtung durch das Gebirge direkt nach Santiago de Compostela - noch immer in Spanien, dann weiter nach Coimbra in Portugal.

   Santiago de Compostele

Von da war es bis Fatima nicht mehr weit. Zur Übernachtung wollten wir nur eine Nacht in Tomar - ca. 20 km entfernt - bleiben, blieben aber länger, es gab so viel zu sehen, außerdem musste  ich mich von meiner „Achterbahnfahrt mit Todeskurven“ erholen, die wir dort mehr ungewollt als geplant erlebten.

Über Fatima - ja, ein zweiter Besuch - kamen wir nach Lissabon, wo keine Straßenkarte stimmte. Wir waren deshalb nicht die einzigen, die sich verfuhren. Aber die Portugiesen sind hilfreiche Menschen. Sollte es ein Vorurteil sein, dass  die Frauen dort spontaner sich aktivieren?

Das nächste Ziel lag westwärts: Evora, wo wir den heißesten Abend unseres Lebens erlebten. Weiter nach Süden ging es. Durch ein karges Land. Belebt - so schien es - waren immer nur die Seiten rechts und links der Straßen.

Nach einigen kleinen Staus kamen wir an unserem zweiten bestellten Campingplatz in der Algarve an, an dem wir längere Zeit Zwischenstation machen. Nach zehn Tagen aber wollen wir fort. Also Aufbruch, allein deswegen, weil Erika wegen großer Höhenunterschiede im Camp nicht einmal 20m weit mit dem Rollstuhl gefahren werden konnte.

Wir fahren westlich zum südwestlichen Zipfel Europas: Cabo de Sao Vincente. Wo war das Kap, wo das Meer? Alles im Nebel versunken.

Zurück ins Landesinnere Richtung Gibraltar. Wir campen in Tarifa. Ist die Sicht besser, damit wir Afrika sehen können?

Die nächste Station ist die Alhambra in Granada. Danach sind wir ferienreif. Alles Sehenswerte bleibt nun rechts und links unbeachtet liegen.

Wir wollen noch über Murcia nach Cartagena: El Portus und Ruhe. Enttäuschung! Der Campingplatz ist bis auf 2 Plätze ausgebucht, man hatte uns doch telefonisch mitgeteilt, eine Buchung sei nicht nötig. Und was sind das für Plätze? Eckplätze, weit ab vom Meer. Dennoch bleiben wir, bleiben wir, bleiben wir. Wie andere, die immer wiederkommen oder hier überwintern.

In Portus

Dann geht es Richtung Heimat. Eine kurze Verschnaufpause von 2 Tagen südlich von Tarragona an der Costa Dorado im „Tempel des Sonnengottes“, der nicht geizt mit Überraschungen.

 Dann packt uns das Kalkül oder ist es das Heimweh? In 41 Stunden fahren wir, ca. 20 km südlich von Tarragona, mit einer Übernachtung - Mo.-Abend 22.00 Uhr bis Di.-Morgen 7.00 Uhr - bis vor die Haustür.

Wo sind die Fahnen, wo das Rampenlicht? Ach, es rechnet ja keiner mit uns, die wir am Montag gegen 8.30 Uhr aufbrachen, dass  wir schon am Mittwoch um Mitternacht 0.30 Uhr „Abschlau“ erreichten. Erst viel, viel später, am Freitag hatte man uns erwartet. Also schleichen wir ins Haus. Alles schläft. Die Nachbarn auch. Ich folge in das Reich der Träume. Nur meine Frau findet keine Nachtruhe. Sie hat ja auch während der Fahrt geschlafen. Dunkel genug war es dafür, als ich durch Deutschland fuhr.

 

Die Einzelheiten der Reise

Der Verlauf der Reise war ungefähr entsprechend der Planung. Nur - es war eine Reise der Überraschungen, die manchmal die Fortsetzung der Fahrt ernsthaft gefährdeten. Schon in der Planungszeit war der Wurm drin.

 

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1995 Lourdes, Serignan, Kroatien

(nur Bilder)                      

     

 

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1998 Kroatien, Griechenland

Dass unser Wohnmobil auch noch schwimmen  lernen würde, das hätte ich nie gedacht. 

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1996 Ravennan und Rom

1962 km sind wir, meine Frau Erika und ich, gefahren, seit wir mit dem Wohnmobil abreisten. Bis Rom. 

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1999 Süditalien und Corsika

Zuerst ein paar Kurzinformationen. Rund 5500 km sind wir gefahren. Auf dem Tacho steht jetzt fast 31500.

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1997 Santiago, Fatima, Granada

Verschiedene haben angefragt und schon gemahnt. Sie wollten Näheres über unsere Ferienfahrt 1997 hören.

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2000 Nachwort zu den Reisen

Heute ist unser 42. Hochzeitstag und das Jahr 2000 neigt sich seinem Ende zu, beladen von vielen Hoffnungen. 

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>>> Praxisbezogenes Resümee, das die ca. 33000 km Erfahrungen von 5 Jahren mit dem Reisemobil für ein behindertenfreundliches Reisen auswertet. Mit Adressen für Umbau.

>>> Seit  dem Tod meiner Frau: versuche ich allein zu reisen. Von dem größten Reiseabenteuer erzählt der nachfolgende Bericht.

Auf einen Blick

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