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Ich lieh dir meine Hände Bildungs-, Pilger- und Erholungsfahrt mit Rollstuhl und Wohnmobil durch Europa von Erika und Winfried Kerkhoff Santiago de Compostela, Fatima, Granada 1. Fortsetzung ------------------------------------------------------------- Endlich
ist alles so weit Zurück
zum Abfahrtstag, der sich nun auf den Donnerstag, Donnerstagabend, verschoben
hatte. Ich sitze am Steuer des Wohnmobils und freue mich über die
Freisprechanlage, deren Einbau letzte Woche fertig geworden ist. Mit dieser
Vorrichtung kann ich über das Handy sprechen, wenn ich während der Fahrt
angerufen werde, ohne es in die Hand zu nehmen. Ein Mikrophon, das zum Handy führt,
ist direkt vor mir festgemacht., so dass ich
ohne Handy antworten kann Am
gestrigen Tage, Mittwoch, an dem wir zum Zahnarzt waren, sind wir doch nicht
mehr los gekommen. Ich
lasse das Wohnmobil an, setzte es rückwärts aus dem Garten raus - es ruckelt
etwas, als es den Bürgersteig hinunterfährt, obwohl der Höhenunterschied mit
einer Bohle recht gut überwunden ist. Es ist noch nicht dunkel. 21 Uhr. Infolge
der zeitraubenden Hindernisse, die Krankheiten und Arztbesuche, die sich
auftaten, musste ich bis zur
letzten Minute packen. Und die war gerade eben. Ich fahre das Mobil vor die
Haustür. Meine
Frau muss noch auf ihr Bett in dem
Wohnmobil gebracht werden. Sie wird getragen, gelagert und gegurtet. Dann
schiebe ich unsere neueste Errungenschaft, das gepolsterte Seitenbrett vor das Bett und sichere es. Erika fühlte sich wohl, ließ
sie wissen, sie wolle gleich schlafen. Fein, dachte ich. Die richtige Zeit,
einen erfolgreichen Reiseanfang zumachen. Dann
kommt der Abschied. Die Familie meines Sohnes, die oben im Haus wohnt, steht
bereit, uns zuzuwinken, wenn wir starten. „Na
los!“ Mein Sohn draußen gibt das Startzeichen. Dann los! Ich stecke den Schlüssel
in das Elektronenschloss und warte auf Dauer-Rot. Dann kann man den Wagen erst
anlassen. Aber es kommt kein Rot. Ich ziehe den Schlüssel raus und stecke ihn
wieder rein. Nichts! Ja, es ist ja überhaupt nicht das Kontroll-Lämpchen an,
das auch ohne Schlüsseleinschub sonst immer blinkt. Ich schalte die Außenscheinwerfer
an. Es bleibt dunkel. Was ist denn nun los? Nun stecke ich den Schlüssel ins
Anlasserschloss. Tot! Nichts rührt sich. Ich stehe auf und gehe raus: „Ich
komme nicht weg,“ stelle ich gequält und hilflos fest. Was
war geschehen? Ingmar kommt in den Wagen, schaut und fragt: „Was ist das
da?“ und zeigt unter das Schaltbrett am Boden. Ich
schaue. „Kabel,“ entfährt es mir, „Kabel, nur Kabel!“ „Muss
das so?“ fragt Ingmar weiter. „Nein,
eigentlich nicht.“ „Da,“
Ingmar wieder, „da sind welche auseinandergerissen.“ „Waaas,“
schrei ich vor Schrecken und zugleich wütend. „Pfusch!“ Eine
Firma aus Münster hatte mir ja ein Handy verkauft und zugleich angeboten, eine
Freisprechanlage im Wohnmobil zu installieren. Als sie die Freisprechanlage
einbaute, hatte sie für den Einbau vorn unter dem Cockpit die Kabel
herausgezogen, um die neuen Kabel zu verlegen, aber wohl schlecht wieder
verlegt. So waren wohl beim ersten Ruck - als ich den Wagen vom Bordstein
heruntersetzte - alle Kabel nach unten gerutscht
und - ich hatte beim Kuppeln und Bremsen dann voll hineingetreten und
losgetreten. Kabelsalat. Ich sah die Abfahrt in weite Ferne gerückt. Eine
Taschenlampe musste her. Schon lag
Ingmar auf dem Wagenboden und versuchte die abgerissenen Kontakte wieder zu
verbinden. Es war ein Graus. Die Aufgabe war eine neue Art, Puzzle zu lösen.
Welches Kabel gehört zu wem? Ich half Ingmar dabei so gut ich konnte, er sagte
immer wieder: „Wenn man doch nur Autoelektriker wäre!“ Mit großem Risiko fügte
Ingmar und dann auch ich nach Augenmaß, Kombination und Wahrscheinlichkeit
alles wieder ineinander. Ingmar betonte immer wieder: „Ich bin kein Fachmann.
Und wenn es Buff macht?“ „Ohne Buff bleiben wir hier“ konterte ich. Aber
es machte nicht Buff. Die
Zeit verging. Lange dauerte es, bis es soweit war, dass
ich einen erneuten Startversuche wagen durfte. Alles schien wieder in
Ordnung? Das Licht brannte, das Radio war wieder zu hören, die Freisprechanlage
war für Anrufe nach außen und für Empfang wieder intakt, das Mikrophon der
Freisprechanlage blieb jedoch unempfindlich. Damit konnte man leben. Der
Anlasser brummte, nur anspringen wollte der Motor nicht, denn das
Elektronikschloss funktionierte immer noch nicht. Mit einem geschickten Trick
der Schlüssel brachte mein Sohn den Motor zum Laufen. War das Zufall, dass
der Motor ansprang?. „Und damit, meinst du, kann ich fahren?“ fragte
ich meinen Sohn unsicher. „Ich fahr so nicht los!“ wehrte ich zunächst ab „Was
soll sich schon ändern,“ versicherte der. Nach
dem 10. Versuch gelang es mir immer noch, mit diesem Schlüsseltrick den Wagen
zu starten. „Ich wage es,“ entschloss ich mich. Ich hatte richtig
entschieden. Auch nach 7.000 km Urlaubsfahrt startete ich auf diese Art das
Wohnmobil. Wegen dieser Startprobleme bin ich nirgendwo stehen geblieben. Gegen
2 Uhr in der Nacht begann dann unsere Reise. Es war Freitag in der Frühe. 5
Stunden hatten wir gedacht und geschafft. Es schienen nur noch 2 Menschen wach
zu sein in dieser Nacht. Mein Sohn und ich. Er winkte mir beim Fortfahren.
Allein! Seine Familie lag auch schon lange in den Federn. Auch meine Frau
schlief. Sie schlief auch noch, als ich todmüde kurz vor der belgischen Grenze,
also noch in Deutschland, auf meine Schlafstätte mich legte. Die Verbesserungen
für Erikas Liege, z.B. das U-Kissen, hatten sich anscheinend schon jetzt voll
bewährt. Keine Probleme mit Füßen oder Knien. Dann kommen wir ja morgen gut
voran. Mit diesen Gedanken schlief ich ein. Nasse
Füße Vor
drei Tagen sind wir losgefahren. Wir haben unsere Tageskilometer immer
geschafft. Ja, eigentlich noch mehr. Nur Paris war ein Problem. Gestern fuhren
wir drei Stunden durch Paris. Oje! Es war ja auch Samstagnachmittag. Das hatte
ich nicht bedacht. Sofort kurz nach Paris haben wir zur Übernachtung
angehalten. Ich wollte nur noch Ruhe. Sonntag.
- Ich springe aus dem Bett. Es ist kurz vor 8 Uhr. Höchste Zeit, dass Erika etwas zu essen bekommt. Was ist denn das? Wie komme ich
denn an nasse Füße? Ich fühle: Der Teppich ist nass . Ich habe Verdacht, dass
der 10-l-Kanister mit Wasser undicht geworden ist. Aber nein, das ist die
Ursache nicht. Ich ziehe den Teppich hoch, trockne den nassen Fußboden des
Wohnmobils. Da sehe ich, dass Wasser
unter dem Kleiderschrank hervorsickert. Wir haben eine Quelle im Wagen! Ich
leere den Boden des Kleiderschrankes, hebe das Bodenbrett hoch und - sehe viel
Wasser, das unter dem Heizungskessel, der hier unten sitzt, irgendwie
hervorquillt. Ich muss eine weitere
Verkleidung losreißen, da ich nicht herausbekomme, wie diese festgemacht wurde.
Irgendwie muss der Heizungskessel,
der auch als Heißwasserboiler dient, undicht sein. Inzwischen habe ich Erika
versorgt, die mit sichtlichem Interesse mein Werkeln beobachtet. Ich montiere
die Warmluftleitung ab, die von dem Heizkessel abzweigt, da alle
Wasserleitungsanschlussstellen dicht waren. Und da sehe ich, aus dem
Warmluftrohr des Kessels tropft es, stetig, reichlich. Mir fällt der Spruch
ein: Hier ist guter Rat teuer. Und das wurde er. Mir fiel zunächst nichts
anderes ein als zu telefonieren. Nach Deutschland. Gut, dass ich ein Handy habe. Die Wohnwagenfirma will zurückrufen, tut
es auch. Das finde ich gut, aber für den Moment bekomme ich keine Hilfe, denn
das Wasser läuft und die vorgeschlagene Reparaturwerkstatt in Frankreich ist
weit. Den ganzen Nachmittag benötige ich, um herauszukriegen, wie ich den
Schaden beheben kann, und viele Handtücher werden nass , bis ich schließlich
den Kessel abgeklemmt und die Leitungen so verlegt habe, dass wir auch weiterhin wenigstens kaltes Wasser haben. Meine Frau
war an diesem Nachmittag sehr pflegeleicht, so dass die Arbeit gut vorankommen konnte. Stolz bin ich am Abend,
als ich es geschafft habe, dass kein
Wasser mehr tropft und trotzdem noch Wasser aus dem Hahn läuft. Meine Frau
gratuliert mir zu meinem Erfolg. Es wird gefeiert. Ich hole belegte Brötchen.
Wir essen Obst dazu und sind wieder guter Stimmung. Und dann schleckere ich Eis.
Und als ich das dritte Magnum aus dem Kühlschrank hole, will Erika doch einmal
lecken, obwohl sie sich schüttelt, weil es sooo kalt ist. Arnaouchot Wir
sind in Westfrankreich, nördlich von Biarritz in St. Girons. Am Ozean. Heute
morgen um 9 Uhr ist draußen 25° und im Wohnmobil 26° Wärme. Heute soll ein
Ruhetag werden. Gott sprach, dass am
siebten Tag immer Ruhetag sein soll. Aber er hat nicht verboten, noch mehr
Ruhetage einzuführen. Wir haben heute morgen den neuen Tag dazu erkoren. Wir
haben lange geschlafen, denn gestern war ein anstrengender Tag. Ich war gestern
Abend schon um ca. 9 Uhr schlafen gegangen. Raus musste
ich nur etwa viermal, um Erika zu versorgen. So gehe ich davon aus, dass
Erika gut geschlafen hat. So meint sie auch. Erika hörte gestern Abend
noch eine Kassette: Reinhard Meys Starportrait. Für uns beide immer wieder ein
Amüsement. - Erika hat ihren Tag-Nacht-Rhythmus fast wieder. Es passiert eben
zur Tageszeit zuviel. Wir
waren der Meinung, bei dem warmen Wetter und dem beschlossenem Ruhetag müssten wir
eigentlich ans Meer fahren. Aber das hört sich sehr leicht an, wird aber sofort
zu einem Problem, wenn man mit dem Rollstuhl bis dahin einige erhebliche
Steigungen zu meistern hat. Denn unser Campingplatz ist an einem mehr als
siebenhügeligen Platz angelegt worden. D.h. wenn man durch den Campingplatz
geht, gibt es erhebliche Höhen zu erklimmen. Das sogar bei den asphaltierten
Sträßchen, die durch den Campingplatz sich ziehen. Als ich zur Erkundigung des
Campinglagers - wo die Toiletten sind, das Waschhaus, der Supermarkt, wo es
Kuchen und Eis gibt (jetzt schmunzeln wohl alle, die mich kennen?) - mit dem
Rad, das ich für diese Fahrt ja extra angestrichen hatte, herumfuhr, musste
ich oft 50 m vor der Hügelspitze kapitulieren und zu Fuß gehen. Ich
hatte mir gesagt, mit deiner Gangschaltung kommst du schon klar. Aber ab da
wusste ich, wofür Fahrräder mit
10- bzw. 12-Schaltgetrieben nützlich sind. Mein Dreigangrad machte mich zum
Bergsteiger. Die
Fahrt zum Strand war über die drei asphaltierten Hügel und die nachfolgende
hohe Düne mit dem Rollstuhl nicht zu leisten. Das stand für Erika und mich
fest. Neben der körperlichen Anstrengung und der Wärme war da noch meine
Rippe, die ich mir gebrochen hatte und die mir starke Schmerzen bei jeder
Bewegung verursachte und heute besonders zwackte. Aber Strand musste
sein! Wofür ist eine Rezeption da? Also
hin zur Rezeption und radebrechen (meine Sprachkenntnisse!). Dort ließen mich
die Rezeptioninnen ( neue Wortschöpfung!) wissen, mit dem Wohnmobil könne ich
wohl kaum wegen der schmalen Straßen zum Strand fahren. Das wäre eine gute Lösung
gewesen, denn andere Pkw - so hatte ich gesehen - parkten auch dort vor der Düne
im Hochwald. „Sie müssen in solch einem Fall den Direktor fragen“, war die
Antwort in der Rezeption. Die Angestellten führten ein Gespräch mit dem
Direktor, da er gerade nicht in der Rezeption war, über Telefon und bestätigten,
was sie schon gesagt hatten: Mit dem Wohnmobil könne ich nicht fahren, aber wir
könnten mit einem hauseigenen Wagen dorthin - und zurückgebracht werden. Der
Wagen würde dann auf dem Parkplatz auf uns warten. Was für nette Leute, dachte
ich. Der Direktor käme aber auch selbst noch vorbei. Und da kam der Herr
Direktor. Er wurde von seinen Angestellten schon, als er eintrat, als solcher
identifiziert. Er stellte sich nicht vor, warum sollte ich es tun? Er sprach
französisch und ließ durch eine Angestellte ins Englische übersetzten. Darin
waren wir uns wohl ähnlich, daß jeder von uns beiden nur seine Muttersprache beherrschte. Wenn ich im Institut gewesen wäre, hätte ich auch
Mitarbeiter gehabt, die mich sprachlich unterstützt hätten. So stand ich
allein da. Insoweit waren wir uns auch ähnlich, dass
wir die Muttersprache bevorzugten.
Eine weitere Ähnlichkeit war das Alter. Nach weiteren Ähnlichkeiten suchend -
da war noch die Brille - kriegte ich gar nicht mit, dass
alles eine Wende genommen hatte. Nun sollte ich mit dem Wohnmobil bis zum
Strandparkplatz fahren dürfen. Ich schaute erstaunt drein. Und der Direktor war
auch schon fort. Auf einmal war auch jemand da, die deutsch sprach und mir alles
genau berichtete. Als ich immer noch, wie man hier in Westfalen sagt, verdattert
dreinschaute, fragte mich die junge Dame keck, wo denn noch Probleme lägen.
„Nirgendwo!“ sagte ich. Ich konnte es nicht glauben. Rätselhaft blieb, wie
der Meinungsumschwung zustande kam. Traute der Direktor mir nun die Fahrt auf
der schmalen Straße innerhalb des Campingplatzes zu, nachdem er mich persönlich
zu Gesicht bekommen hatte - oder war da der Nur-Tourist, der die bürgerlichen
Kleider abgelegt hatte, nicht einmal wie er mehr eine Brille trug - die trag ich
nie im Urlaub - und für den der Aufwand eines hauseigenen Autos zu hoch war? Ich
radelte im ersten Gang zu unserem Camp-Wagen. Meine frohe Kunde brachte für
mich erst einmal eine Menge Arbeit. Hatten wir uns doch häuslich niedergelassen
und ausgepackt, musste nun alles
wieder verpackt und festgezurrt werden. Wir mußten ja durchs Gebirge! Nachdem
auch das Rad, die Liege, Tisch und Stuhl zusammengestellt waren, die blieben nämlich
zurück, und nachdem ich das Sonnenverdeck am Wohnmobil - unsere neueste
Errungenschaft für diese Reise, fest montiert am Wohnmobil, ausbaubar zum
Vorzelt - eingefahren hatte, wurde Erika auf ihrer Liege im Wagen gesichert und
los ging es. Daß die Steigungen ganz erheblich waren, sollte ich nun erleben.
Hatte ich geglaubt mit dem zweiten Gang hochfahren zu können, so brachte uns
nur der erste Gang über die Hügel. Erika überlebte die kurzfristige
Wellenfahrt. Sie meinte zur Fahrt: „Ich habe mich an die Raupenfahrt auf der
Kirmes in meiner Kindheit erinnert.“ Und dabei bin ich nur 10 km/Std.
gefahren. Es war schließlich Vorschrift. Vom
Strandparkplatz aus, wo wir das Wohnmobil parkten, ging es mit Erika im
Rollstuhl ein kleines Stück über Asphalt, aber dann kam Schotter. Ich dachte
nur, die Kinderwageninsassen und -schieber haben es hier schwer, auch ältere
Leute und die Rollstuhlfahrer. Aber eigentlich gab es diese Gruppen hier gar
nicht. Und ich sinnierte weiter, was nützt es, wenn die hygienischen Verhältnisse
behindertengerecht sind, aber eine Menge andere Hindernisse stören. Dann kam
die Düne. Ich machte Erika und mir Mut: „Ein Drittel des Weges haben wir
schon, das nächste Drittel kommt jetzt und, dann machen wir Pause.“ Ich
dampfte und prustete. Gott Dank, war die Luft nicht so drückend wie gestern,
als ich hier mit dem Fahrrad auskundschaften war. „Can I help you?“ hörte
ich neben mir. „Oh, yes, thanks“, sagte ich aus tiefster Seele. Dieser nette
Mensch packte links vorn und ich hinten an, und dann ging es wie auf einem
Strandsegler den Berg hinauf. Ich dankte nochmals und deutete an, dass
ich hinunter gut allein es schaffen könne. So war es auch. Natürlich
auf den Hinterrädern, damit Erika nicht hinausfiel und es nicht so sehr rüttelte.
Dieser Abhang war nicht so stark geneigt, denn der starke Abfall zum Meer war
durch eine Treppe aufgefangen. Breite Stufen. Die hätte man runterfahren können,
aber wir hätten sie ja auch wieder hinauf gemusst . 20 Stufen hatte ich geschätzt.
21 waren es. So stellte ich Erika auf die zweite Stufe, sicherte den Rollstuhl,
setzte mich daneben auf die erste Stufe. Das Rollstuhlrad auf meiner Seite hielt
ich mit meiner rechten Hand fest. Erika äußerte Bedenken, auf der zweiten
Stufe zu stehen, aber ich versicherte ihr, dass
anderswo keine Möglichkeit war und dass
sie nicht rollen könnte. Sie ließ sich beruhigen und genoss den
herrlichen Anblick. Vor uns, so weit man schauen konnte, Wasser. Blau, grün,
schwarz, und vorn, bevor die Wellen den gelben wohl hundert Meter breiten Strand
berührten, ein schmaler weißer Saum, der sich immer wieder veränderte. Und
auf dem Strand die vielen bunten Sonnenschirme, umgeben von den Menschen. Von
hier oben sah es wie ein Strandfest aus. So
saßen wir auf der obersten Treppe, wie Kinder, die vor sich ein fernes
Wunderland sehen, es aber nicht erleben können. Auch Erika äußerte ähnliches,
aber dennoch wollte sie nicht fort. Vielleicht
saßen wir auch etwas provokativ mitten im Weg. Aber es gab wirklich keine
andere Möglichkeit, denn neben der Treppe rechts und links lagen die Sandalen
der Touristen, die unten am Strand saßen. Weiter versperrte ein Schild, auf dem
Temperatur des Wassers usw. standen, die Aussicht. In der ganzen Zeit sprach uns
denn auch nur ein Ehepaar an. Wieder Engländer, die uns fragten, ob wir
hinunter an den Strand wollten. Ich
war froh, dass ich Erika dem Wind und der Sonne entsprechend angezogen hatte, außerdem
war auch noch einiges an unterschiedlichen Kleidungsstücken in der
Rollstuhltasche, und das Wohnmobil war ja in der Nähe. Am
Spätnachmittag, als wir wieder an unserem Stellplatz angekommen waren, hatten
wir Hochstimmung. Wir beide hatten eine gute Leistung gebracht. Wir belohnten
uns und kauften ein. Mit dem Rollstuhl in das Marktcenter. Vorbei an dem
Hallenbad und Freibad, aus dem das laute Kinderlachen und -schreien, das uns
schon diese Tage erfreut hatte, rübertönte. Was es gab? Auf jeden Fall Eis für
mich! Und für Erika? Sie wünschte sich einmal wieder Zwiebäcke mit Butter.
Zuhause - am Wohnmobil natürlich - haben wir dann draußen geschleckert.
Manchmal denke ich, daß wir in vielen Punkten doch sehr anspruchslos geworden
sind. Unser Leben hat sich doch sehr geändert! El
Brao und das junge Mädchen Camping
El Brao, noch Spanien, letzte und zugleich einzige Übernachtung in Nordspanien.
Dicht bei Llannes, mehr westwärts. El Brao ist ein kleiner, aber schmucker
Campingplatz, umgeben von einer hohen Mauer, und innen ist jeder Stellplatz mit
Hecke oder Bäumchen umgeben. Für die Übernachtung zahlten wir nur 1350 Pst.,
etwas über 14 DM. Etwas schwierig beim Einparken des großen Wagens. Ich
gehe auskundschaften, wo eingekauft werden kann, wo und wie die Duschen sind
usw. In den Leitungen warmes Wasser, zu allen Tageszeiten, stellen wir später
fest, und wie sauber die Waschräume sind. Im Restaurant finde ich etwas zu
essen, was lecker zu sein scheint - Teigwaren - und aussieht, süß zu sein. Im
Wohnwagen beiß ich hinein. Erika lacht
über mein Gesicht. Es ist Fisch - in Teigwaren gebacken. Nachdem die erste Überraschung
vorüber ist, stell ich fest, dass es
sehr gut schmeckt, was ich esse. Auch Erika findet das. Später erkenne ich,
dass diese „Teilchen“ zu
Spanien gehören. Gegen
Abend setze ich Erika in den Rollstuhl und zeige ihr den Platz. Natürlich
kaufen wir für mich Eis. Aber, weil wir zuerst zum Restaurant fahren, lege ich
das eingepackte Eis Erika auf den Schoß. Wir machen dann unsere Rundfahrt
weiter. Da überholt uns ein Mann. Er spricht uns an: „Sie machen das sehr
gut!“ Ich schaue ihn etwas verwirrt an. Er hält jetzt Schritt mit mir und
zeigt auf den Rollstuhl. Ich verstehe jetzt, was er meint. „Ich habe sie
beobachtet,“ fährt er fort, „die ganze Zeit über. Wirklich gut! Aber“
und nun zeigt er auf das Eis, das auf Erikas Schoß liegt, „nun geben Sie dem
jungen Mädchen mal das Eis, ehe es schmilzt!“ Er grüßt und verschwindet
zwischen den Wohnwagen. Ich halte den Rollstuhl an und neige mich zu Erika. Sie
lächelt und sagt: „Nun pack das Eis endlich aus und gib es dem jungen Mädchen
mal!“ Nun bin ich ganz verwirrt! Erika will doch nie Eis, weil das so kalt
ist? Und jetzt doch? Ich packe das Eis aus und reiche es Erika. Die lächelt
immer noch: „Das junge Mädchen schenkt Dir ihr Eis!“ Auf
dem Rückweg sehen wir dann den Camper vor seinem Wohnwagen sitzen. Er könnte
etwas jünger sein als wir. Er winkt uns zu. Wir
fahren noch zum Meer, das auf der anderen Seite der Straße, also gegenüber dem
Campingplatz, liegt. Doch wir können nicht an den Strand. Es liegt zu tief.
Eine Treppe führt hinunter. Es ist auch hier oben schön, nur der Wind ist sehr
heftig. Schnell zurück zum Campingplatz und in das schützende Wohnmobil. Am
nächsten Morgen geht es früh los. Feine Regentropfen fallen vereinzelt auf das
große Fenster vorn. Ab und zu muss ich
die Scheibenwischer anstellen. Der Hinweg von der Straße zum Campingplatz war
schon verwirrend. Auf die Landstraße, die uns nach Santiago de Compostela
bringen soll, finden wir erst zurück, nachdem wir uns verfahren haben, hin- und
her und zurücksetzen und gefragt hatten. Santiago
de Compostela Dass
wir auf dem Weg nach Santiago sein sollten, konnte ich einfach nicht
glauben. Schon früher waren, wenn ich den Namen hörte und auf der Landkarte
sah, wie abseits im Nordwest von Europa diese Stadt lag, unbestimmte
Erinnerungen und Gefühle da, wie wenn ich Geschichten aus Tausendundeinenacht hörte.
Wir sind es nicht allein, die Santiago geheimnisvoll finden. Auf dem
Campingplatz bei Santiago, als wir etwas Zeit hatten, fanden wir in Knauers
Reiseführer für Individualisten für Santiago die Bezeichnung „magische
Stadt“. Dann
waren da noch Berichte über Wallfahrer, die im Mittelalter monate-, ja
jahrelang unterwegs waren, um in Santiago de Compostela ( = Sternenfeld oder nur
Friedhof?) den hl. Jakobus zu verehren, dessen Grab der Legende nach dort von
einem Mönch im 9. Jahrhundert wiederentdeckt worden ist. Bis zu zwei Millionen
Pilger waren es, die pro Jahr den nicht ungefährlichen Weg unter dem Schutze
der Benediktiner- und Zisterzienser-Klöster nach Santiago wagten, das neben Rom
und Jerusalem der größte Wallfahrtsort im Mittelalter war. Auch von
Deutschland zogen sie los. Welche Wege nach Santiago die Pilger zogen bzw.
ziehen könnten, das zeigte der französische Mönch Picaud in dem wohl ältesten
Reiseführer auf. Anfang des Jahres wurde er in der Presse angeboten. Wir
kauften ihn. Als zukünftige Pilger nach Santiago! Doch wir kamen in normaler
Kleidung. Es gab am Fuße des Domes Besucher mit Rucksäcken, andere waren tatsächlich
wie die mittelalterlichen Pilger in Büßergewand und mit Pilgerstab gekommen. Unsere
Begegnung mit der Kathedrale des hl Jakobus hatte ein Distanzproblem. Wir
standen auf dem Kirchplatz, waren fasziniert von dem herrlichen, hohen
Eingangsportal, das sich plötzlich nach zwei Schwenks um den mächtigen Dombau
zeigte, und starten dann ziemlich entsetzt die Treppen an, die zum
Eingangsportal führten. Da die Polizisten nur spanisch mit uns reden wollten
oder konnten - eigentlich kein Wunder - waren
die Hinweise auf einen günstigeren Eingang für den Rollstuhl sehr undeutlich.
Auf der anderen Seite? Dort waren auch Treppen, aber es waren schon ein paar
weniger Stufen. Als wir noch überlegten, ob wir über die Treppe ins Innere des
Domes gehen sollten, steuerte ein Herr in einem dunkelgrauen Anzug auf uns zu.
Ein Geistlicher? Ein Engel an diesem geheimnisvollen Ort? Er blieb in einer
Entfernung von ca. 10 m stehen und schaute zu uns herüber. Er gab uns ein
Zeichen, ihm zu folgen. Es ging nochmals ein Stück um den Dom. Er immer voraus.
Bald hatten wir 360° erreicht. Er zeigte auf eine Tür der Kirche. Nur eine
Stufe. Dieser Engel in Grau - warum müssen Engel eigentlich immer weiß
gekleidet sein! - kam nicht zu uns, ich konnte auch nicht so schnell zu ihm,
schon war er verschwunden in der Menge. Uns blieb gerade noch Zeit kopfnickend
und die Hand zum Gruße erhebend ihm zu danken. Wir waren sehr glücklich.
Allein hätten wir das nicht gefunden. Warum gibt es keine Hinweisschilder für
Rollstuhlfahrer, alte Leute und Mütter mit Kindern? Ähnliche Probleme mit den
Treppen hatten wir in Fatima! So
standen wir in der Domhalle, vor uns auf dem Altar der hl. Jakobus. Hinter ihm
wanderte eine Reihe Menschen, die ihn wohl von hinten umarmten. Die
Fingerspitzen konnte man immer sehen. Nichts für uns. Der Weg hinter dem Altar
zum hl. Jakobus war völlig rollstuhlungeeignet. So ließen wir uns mit dem
goldenen Heiligen von Aug’ zu Aug’ ein und konnten uns seiner mystischen
Ausstrahlung nicht entziehen. Eine Rundfahrt durch die trutzige Kirche machte
uns klar, dass das eigentliche Zentrum hier diese Heiligenfigur war. Die vielen
kriegerischen Legenden, die die Spanier um ihren Heiligen ranken ließen, waren
an diesem heiligen Ort wenig glaubhaft. Auf
dem Weg zurück zum Parkplatz, durch enge Straßen mit mächtigen, fast erdrückenden
Bauten, erlebten wir noch einmal das Flair der Mixtur verschiedener Baustile,
die wir vor dem Dombesuch auf der 1 1/2stündigen ungewollten Rundfahrt durch
die Altstadt und den neueren Ortsteilen Santiagos auf der Suche nach einem
Parkplatz nicht so deutlich wahrnehmen konnten. Von der mächtigen Kathedrale
aus ging es 10 Minuten rauf und runter mit dem Rollstuhl, bis wir das Wohnmobil
sichteten. Es stand noch dort und war nicht weggerollt. Auf der rechten Seite
der Straße, die beträchtliches Gefälle hatte, gehalten durch Bremse, durch
den eingedrückten Rückwärtsgang und durch Unterlegkeile. Etwas skeptisch
hatte ich das Mobil schon verlassen. Aber es hatte alles gehalten und kein böser
Bube hatte die Keile weggenommen. Vor den bösen Buben hatte ich schon angst,
denn bevor wir zum Dom losgezogen waren, liefen auf der Straße einige auffällige
Gestalten herum. Oder waren es vielleicht die anderen, vor denen wir uns in Acht
nehmen mussten , den Unauffälligen? Vor niemanden, wie wir jetzt feststellen
durften. Gott sei Dank. Ein Unglück in Santiago reichte uns auch. Gleich
heute morgen, als wir die nähere Bekanntschaft mit Santiago begannen, als wir
den Parkplatz anfuhren, den man uns in der Rezeption des Campingplatzes
vorschlug, krachte es. Vertrauend auf die Information aus dem Campingplatz, die
sich aber später als irrwitzige Einschätzung herausstellte, bogen wir heute in
die Straße, die zum Parkplatz führte. Gleich sah ich: der war überfüllt.
Alles wie Kraut und Rüben! Die Polizei stand da und sorgte ab und zu dafür, dass
die Wagen, die für ihr spätes Kommen bestraft wurden - dazu gehörten wir ja
auch - drehen und zurückfahren konnten. Und da kam uns schon ein PKW entgegen.
Ich hatte die mächtigen Weiden am Straßenrand eigentlich früh genug als
Gefahrenquelle registriert. Unangenehm, mit dem rechten Teil oben an die in die
Straße schräg hineingewachsenen Stämme zugeraten! Also Abstandhalten! Bis zu
dem Moment, wo der „Gegner“ auf uns zufuhr, gelang mir das auch. Aber dann -
was war’s? Der angeblich den Menschen verlorengegangene Instinkt? Ausdruck der
Impulsivität oder einfach eine Reaktion, wenn man Böses ahnt? Ein kleines sehr
kleines Ausweichmanöver und RUMPS! Der Wagen stand. Aber mit was für
unangenehmen Geräuschen. Mein Gedanke: rechts oben am Wagen ist alles Matsche!
Ich blickte nach rechts. Im Fenster sah ich noch eben den Stamm, den wir wohl
gerammt hatten. Er musste vor der Tür
stehen. Und dann arbeitet mein Gehirnskasten sehr scharf. Der Wagen musste
also vom Stamm weg, gesetzt werden, damit man raussteigen konnte. Aber
ich durfte nicht vorwärts fahren, dann war sicher alles oben rechts hin.
Vielleicht nach rechts einschlagen und zurückfahren? Ein kleines Stück? Zum
Versuch? Da war doch eine Portugiesin, die neben dem Wagen auf die Unglücksstelle
schaute. Als ich vorsichtig mit nach rechts eingeschlagener Lenkung links
ausscherte, nickte sie und hob bestätigend die Hand. Nun musste
ich aber selbst nachsehen. Es war das neue Sonnenverdeck doch noch dran.
Nichts hatte sich verändert oder doch? Woher kam denn vorn über dem rechten
Seitenfenster die dicke Schraube, die da aus dem Wagen ragte? Die war mir doch
nie aufgefallen, hatte ich die immer übersehen? Ärgerlich über mein
ungeschicktes Verhalten musste ich
weiter. Die Frau, die mir geholfen hatte, war schon nicht mehr zu sehen. Danke,
dachte ich. Ich wünsche Dir mehr Glück, als ich heute anscheinend habe. Dann
musste ich wirklich fahren, viele
Wagen standen hinter mir, alle wollten einen Parkplatz, aber es gab keine. Ich
machte das Fenster auf. Da war doch ein Polizist. So etwas wie einen
Behindertenausweis für das Auto war den Polizisten unbekannt oder verstanden
sie etwas anderes? Sie deuteten an, ich solle es bei dem Krankenhaus gegenüber
versuchen. Das hatte ich gesehen. Dann die Aufforderung zu drehen. Hier war das
unmöglich, ich fuhr ein paar Schritte weiter bis zur Parkplatzeinfahrt. Dort
wendete ich. Die Polizisten hatten schon andere Aufgaben übernommen. Auf dem
Parkplatz des Krankenhauses erntete ich böse Blicke und abwehrende Hände des
dortigen Polizisten. Er war so sauer, dass
er mir nicht helfen wollte den Wagen zu drehen, um wieder rauszufahren.
Er ging demonstrativ weg. Eine Polizistin kam. Ich tat ihr wohl leid. Sie half.
Sie rief ihren gegangenem Kollegen ein paar Mal etwas zu. Endlich bequemte er
sich und half auch. Ich war ziemlich gestresst . Danke! winkte ich. Und Erika?
Sie war sehr gelassen. Später erzählte sie mir, dass sie auch bei dem Gekrache auf ihrer Seite keine Angst gehabt
hätte. Wenigstens einer, der mir tröstete. An die Stelle des gestressten
Zustandes trat nach dem anschließenden vergeblichen Suchen nach einem
Parkplatz in der Nähe der Altstadt - zweimal rum herum! Ach, da waren wir doch
schon! - und in den angrenzenden neuen Stadtteilen eine fürchterliche Angst,
dass wir keinen Parkplatz finden würden,
dass wir heute also vergeblich in Santiago hineingefahren seien.
Denn fast alle auf der Stadtkarte benannten Parkplätze waren Tief- oder
Hochgaragen. Einfahrtshöhe 2 m. Unser Wagen dagegen war 3,30 m. Und morgen -
ja, da hätten wir dann mit dem kaputten Auto wieder in die Stadt fahren müssen.
Wir wollten doch nicht den weiten Weg gefahren sein und unser Wallfahrtsziel
verpasst haben. Und dann - ja, wir
fanden eine kleine Gasse. Doch, o je, die führte bergab! Den schweren Wagen
sicher parken auf dem Gefälle? Schließlich war es für uns die einzige Parkmöglichkeit
in ganz Santiago! Santiago wird uns nicht nur wegen des „Dachschadens“ in Erinnerung bleiben. Der Himmel hatte Trost für uns: Sonne und azurne Bläue ohne eine Wolke über die ganze Zeit, wo wir da waren, wenn auch mit Wind trotz der Berge ringsherum. Und das in der regenreichsten Stadt Nordspaniens. Und noch etwas: Mit dem Weihnachtsfest 97 wird unsere selbst gestaltete und für die Entwicklung meiner Frau so relevant gewordene Krippe mit 40cm-hohen Figuren um ein Requisit reicher sein. Auf dem Jakobusfest, dessen Vorbereitungen nirgendwo zu übersehen waren, wird ein mannshohes Räucherfass von zwei Männern in stattlichen alten Gewändern herumgetragen. Ein solches Räucherfass konnten wir in einer maßstabgerechten Größe unserer Krippenfiguren im Geschäft des Campingplatzes erstehen. Unsere Freude kannte keine Grenzen. Jahre hatten wir nach so etwas gesucht.
Nachruf
Aus ihrem Leben Erikas
Gedichte Anekdoten
Veröffentlichungen 48!
Und behindert
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