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Erprobung
Als die Kinder noch jünger waren , hatten wir uns
einen Wohnwagen (vom PKW gezogen) gekauft. Wir verkauften ihn kurz nach
dem Schlaganfall meiner Frau, da wir glaubten, nie wieder reisen zu können.
Das spätere Mitreisen in einem Wohnmobil konnte meine Frau nur leisten, weil die
Vorbereitungen indirekt schrittweise über Jahre hin erfolgten.
Die Kompetenzerweiterung bei meiner Frau beinhaltete also nicht planmäßig
das Reisen als Ziel, schon gar nicht mittels eines Wohnmobils, sondern
ergab sich stets auf der Basis des Erreichten. Dabei ging es um Setzung
von Kurzzielen, immer mit der Blickrichtung, wozu meine Frau Freude und
Spaß hatte.
Das besondere und angenehme bei der Reise mit einem
Wohnmobil und Wohnwagen ist, dass man sein Zuhause mit sich führt, vor
der Reise alles ein- und herrichten kann und die Plätze, wo die
mitzunehmenden Gegenstände eingeräumt werden, bleiben können. Das
Zuhause war für meine Frau auf der Reise immer wichtig.
Rückblickend kann man in der Entwicklung hin auf eine größere Mobilität
meiner Frau mehrere (Fort-)Schritte erkennen.
1 Zunächst wurden Fahrten zu Kurzeinkäufen von einer, später
von mehreren Stunden mit dem PKW
(auf unsere Bedürfnisse umgebauter Kleinbus) vorgenommen, bei denen es Möglichkeiten der
Erholung durch Liegen gab.
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Drei Jahre nach dem Schlaganfall konnten wir
nach Berlin fahren. Natürlich mit dem Wagen (veränderter Kleinbus), da
der Zug keine Möglichkeiten des Liegens, wie meine Frau es nötig
hatte, bot. In Berlin wohnten wir für acht Tage in einem Hotel mit
Aufzug. Jedoch bedeutete es für die Reise, Hilfsmittel,
Flaschennahrung, Schüsseln zum Waschen, Kleidung usw. mitzunehmen. Der
Kleinbus war voll. Für alles wurden natürlich Listen erstellt (vergl.
Kap. 8).
3 Der nächste Schritt war, dass wir für vier Wochen zur Kur fuhren. Das
erste Mal nach Bad Kissingen im Jahr 1988, vier Jahr nach dem
Schlaganfall. Die Anreise dauerte nicht länger als nach Berlin. Da das
Kurhaus die Pflege meiner Frau ablehnte, fuhr unsere damalige
Krankenschwester mit. In einer Kurklinik wollte meine Frau nicht
wohnen, da sie die meiste Zeit hätte ohne mich sein müssen. Für die
zweite Kur in Bad Tölz suchten wir eine Kurklinik, da es nachträglich
im Hinblick auf Bad Kissingen mit der Krankenkasse ein paar Probleme
wegen der Bezahlung der Krankenschwester gegeben hatte. Doch es war
keine Kurklinik in Bad Tölz bereit, meine Frau wegen der starken
Behinderung überhaupt aufzunehmen. So fuhren wir wieder
in ein Kurhaus mit Unterstützung unserer Krankenschwester (zeitweise)
und unseres zweiten Sohnes.
4 Die von meiner Frau sehr geschätzten Fahrten nach Berlin – auch zum
Berliner Weihnachtsmarkt – wurden allmählich Routine. Ich konnte
meiner Frau mehr zutrauen. Wir nahmen eine Einladung einer bekannten
Familie nach Frankreich an. Mein ältester Sohn und seine Familie fuhren
mit. Nun waren es nicht mehr 500 oder 700 km, sondern1400, die zu bewältigen
waren. Mit dieser Fahrt begaben wir uns aus dem ärztlichen Schutz des
Hausarztes, was mir schon Kopfschmerzen verursachte. Bei dieser Fahrt
konnten wir auch gut erproben, inwieweit es möglich war, mit meiner
Frau im Rollstuhl an den Sandstrand zu gelangen. Für eine nochmalige Reise
mussten wir zur Erleichterung etwas einfallen
lassen.
Meine Frau hatte Spaß an dem Untenehmen, wenn auch die An- und
Abreise sitzend im Kleinbus sehr anstrengend war. Auch hatte sie den
Wind am Meer gut vertragen. Keine Erkältung hatte sie überfallen. Das
Tracheostoma (operative Luftröhrenöffnung ) war aber auch gegen den
Wind mit einem dichten Tuch abgedeckt worden.
5 Nach dem jahrelangen gemeinsamen Arbeiten an der Weihnachtskrippe - etwa
ab 1987, für meine Frau mit hohem therapeutischen Effekt -
war das Thema etwas ausgepowert. Damit meine Frau nicht wieder in
Depressionen fiel wie in der Zeit, musste etwas Neues her, das viele Überlegungen
und Tätigkeiten während des Jahres erforderte bzw. ermöglichte. Mir
kam die Idee zu reisen. Ich fragte meine Frau, sie war erfreut, und wir
kauften ein Wohnmobil. Es war ein Glücksgriff. Bis zu ihrem Tod im März
2000 reisten wir fünf Jahre lang jeden Sommer.
Das Fehlen der ärztlichen Aufsicht während der Fahrt war möglich durch
die eingetretene körperliche und psychische Stabilisierung meiner Frau.
Eine gewisse prophylaktische Wirkung auf der Reise wurde erreicht durch
den in verschiedene Sprachen übersetzten Arztbericht, meine Sammlung
pflegerischer und therapeutischer Anmerkungen, eine umfangreiche
„Apotheke“ und meine mittlerweile angewachsenen Kenntnisse und
Fertigkeiten in Folge der jahrelangen Betreuung und Versorgung meiner
Frau, sodass auch der Hausarzt grünes Licht zu den Reisen gab und, wie
sich im Nachhinein herausstellte, eine vorausschauende, richtige und
wirkungsvolle Entscheidung.
Nach dieser Zeit des Reisens erschien es möglich und nötig, weitere
neuartige Aktivitäten im Sinne von Rehabilitation und Integration mit
Erika anzuleiern. Das Internet war eine Möglichkeit, z.B. eine Homepage
für all die lustigen Geschichten von unseren Kindern, die meine Frau
gesammelt hatte, anzulegen. Die technischen Voraussetzungen dafür waren
bereits geschaffen. Jedoch dazu kam es
leider nicht mehr durch den unerwarteten Tod meiner Frau im März 2000. |