Etappen
eines Lebens
Aus
dem Leben von Erika
Kerkhoff geb. Löchte
Zusammengestellt von
Winfried Kerkhoff
Jahreswechsel
mit Sekt und Rotwein und Liebesdienst
Ein
Jahr ging zu Ende - mit vielen Veränderungen und Neuigkeiten. Erika war
seit 1954 in der Lehre zum Industriekaufmann - na ja, eigentlich Kauffrau
- , also im 2. Lehrjahr, ich war im Studium zum Volksschullehrer in
Münster seit 1955, meine Familie hatte in einem eigenen Neubau in
Münster Wohnquartier bezogen. D.h. meine Eltern mit mir, die anderen
Geschwister waren ja aus dem Haus.
Zum
Jahreswechsel 1956/57 fuhr ich zu Erikas Familie nach Burgsteinfurt, meine
Eltern sahen es nicht so gern, da ich ja auch dort übernachten wollte.
Doch ich setzte es durch.
Löchtes
- so hieß die Familie von Erika, hatten in Burgsteinfurt im Hause einer
Wirtschaft eine Wohnung, die aber auf einem langen Flur lag, an dem noch
mehr Zimmer lagen, die auch wiederum Teile einer Wohnung von anderen
Familien waren. Insgesamt
wohnten dort drei Familien. Man bedenke, es war Nachkriegszeit.
Löchtes hatten drei Zimmer. Eine Küche, das
Elternschlafzimmer und das Mädchenschlafzimmer, das so groß war, das es
zugleich als Wohnraum diente. In diesem Wohnteil saßen wir und feierten
Neujahr. Für mich war das schon etwas Neues, denn in unserer Familie gab
es kein Hineinfeiern in das Neue Jahr. Meistens erschliefen wir es.
Mit
Gesellschaftsspielen, Erzählen, Essen und Trinken ging es auf den Rest
des Jahres zu, die letzten Stunden des 31.Januar 1956, auf den Weg zu
1957, darin wollten wir uns verloben, beide würden wir unsere Prüfungen
machen, Erika ihre Industrie-Prüfung, ich meine Lehrerprüfung. Das
bedeutete auch, dass wir selbst Geld verdienen würden. Doch in unserer
Beziehung war im Moment die Verlobung nicht so ein Meilenstein. Wir waren
doch so verliebt ineinander, in die Zukunft sahen wir eigentlich nur unter
dem Aspekt, wir wollen zusammenbleiben.
Kurz
vor Mitternacht, also dem Jahreswechsel, sollte es ein besonderes Getränk
geben. Es hieß Türkenblut, das ist sicher ein rassistischer Ausdruck.
Aber die Zeiten und Menschen waren damals leider noch nicht so sensibel
wie heute, man sagte auch noch Negerküsse. Bei diesem
Getränk wurde Sekt und Rotwein zu gleichen Teilen gemischt. Ich war
ja sehr unerfahren im Trinken von Alkohol, auch Erika, das wusste ich,
denn auf unseren vielen Tanztees und Tanzfeiern tranken wir keinen
Alkohol, wir konnten uns ja aus finanziellen Gründen - wie schmal
war unsere Taschengeldbudget ! - keinen Alkohol, ja eigentlich nicht mal
mehrere Gläser alkoholfreie Getränke leisten. Es gab aber Ausnahmen wie
z.B. Schlussball oder Abiturfeiern.
Der
Sekt mit Rotwein, oder - der Rotwein mit Sekt bei Löchtes schmeckte
vorzüglich, und ich mochte das Gemisch gern, war jedoch skeptisch wegen
der Wirkung. Und die war schon stark angesichts der geringen Mengen, die
ich getrunken hatte. Ich war keineswegs betrunken, das war ich auch
später selten - Ausnahmen bestätigen die Regel, denn ich fühlte mich
immer Erika gegenüber verantwortlich, dass ich sie sicher nach Hause
brachte. Mein Nachtlager war nach diesem netten Abend in der Küche auf
der Couch, wo ich auch sehr gut schlief.
Das
zweite Mal tranken Erika und ich Rotwein+Sekt genau 2 Jahre später.
Dieser Jahreswechsel 1958/59 fiel in unsere Hochzeitsreise - wir waren
gerade mal 2 Tage verheiratet und unheimlich glücklich. Unsere kleine
Hochzeitsreise - es war mal wieder das Geld , das uns für eine längere
fehlte - ging ins Siebengebirge. Wir fuhren mit dem "kleinen
Prinzen". Nicht was ihr Leser vielleicht meint. Unser erstes Kind
konnte noch nicht da sein, wir hatten ja gerade die erste Liebesnacht
erlebt. Der "kleine Prinz" war das erste NSU-Gefährt. Was waren
wir stolz auf unser erstes Klein-Auto. Klein, aber fein, wir hatten es mit
dem Gedanken gekauft, dass es extra für uns und unsere Verhältnisse -
persönlichen und finanziellen - konstruiert worden war. Also
gewissermaßen ein Fingerzeichen Gottes, diesen Wagen zu kaufen!
Wir
kamen sicher bei der Familie Speck im Siebengebirge an, genau am
Silvestertag 1958 - ich fand jetzt beim Aufräumen nach Erikas Tod den
langgesuchten Waschzettel. Wir packten unsere Sachen aus dem Auto,
bezogen unser kleines Zimmer, waren glücklich und planten. Natürlich
mussten wir feiern, unseren ersten gemeinsamen Jahresabschluss. Was
tranken wir? Ihr ahnt es schon. Rotwein und Sekt. Zur Feier des Tages
sagte Erikas zu, mittrinken zu wollen, Erika war bei Alkohol immer sehr
zurückhaltend. Ich freute mich riesig, dass ich nicht allein trinken
musste. Es war doch irgendwie geselliger.
Wir
setzten uns gegen 20 Uhr unten in den Aufenthaltsraum der
Pension an einen Tisch und bestellten eine Flasche Rotwein und eine
Flasche Sekt. Etwas üppig, dachte ich, aber es war ja unser erster
gemeinsamer Jahreswechsel. Als die beiden Flaschen dann vor uns auf dem
Tisch standen, betrachtete ich noch skeptischer beide Flaschen, konnten
wir die leeren? Wir werden es schon schaffen, wenn Erika 2-3 Gläser
mittrinkt. Der Abend war ja noch lang, vier Stunden bis 12 Uhr! Der Ober
begann gerade mir einzugießen, damit ich den Wein probieren konnte, da
erklärte Erika, sie glaube, dass es vielleicht doch nicht richtig war
mitzutrinken. Es dauerte, bis ich es kapiert hatte. Aber dann fiel bei mir
der Groschen, es könnte ja sein, dass sie schon ein Kind bekommen würde,
wenn man solche Sehnsucht nach dem anderen hat, und Alkohol? Da hatte sie
recht, Entscheidung akzeptiert. Aber - da musste ich ja zwei Flaschen
trinken! Jetzt wurde mir doch ein bisschen bange. Meinem überraschten
Blick begegnete Erika mit den Worten, ich könnte das wohl schaffen.
Oh, Erika !
Der
Abend wurde unvergesslich. Aber nicht nur wegen unserer verliebten
Gespräche. Ich ungeübter und unerfahrener Trinker schaffte die beiden
Flaschen. Ich wollte doch auch das, was ich bestellt hatte, verzehren. So
gingen wir nach dem Jubel des Jahreswechsel auf unser Zimmer. Es war schon
sehr kühl draußen und unser Zimmer nur durch ein Heizöfchen gewärmt.
Aber für mich war das kein Problem mehr, ich sackte auf das erste Bett
neben der Tür und schlief sofort ein.
Wie
lange hatte ich geschlafen? Mir war übel. Ich musste brechen. Wo
war die Toilette. Jetzt war Erika wach. "Wo ist die Toilette?"
Vor dem Zimmer! Erika öffnete beide Türen. Ich stürzte hindurch, den
Klo-Deckel bekam ich nicht rechtzeitig auf, die Richtung verfehlt, das
Ziel völlig falsch angepeilt. - Es war raus, mir ging es eigentlich
besser, aber die Toilette, Wände, Deckel, Fußboden! Und der Geruch, den
ich jetzt wahrnahm. "Du Armer", hörte ich an meinem Ohr. Da
merkte ich erst, dass Erika mich die ganze Zeit in den Armen gehalten
hatte, damit ich nicht durch meine quälenden Erschütterungen umgefallen
war. War das ein Jahresanfang - und erst 2 Tage verheiratet. O je,
das war alles grauenvoll! Ich schämte mich, dachte, dass das doch alles
sauber gemacht werden müsste, ließ mich aber willenlos von Erika ins
Schlafzimmer führen. Sie packte mich ins Bett und lächelte mich an.
Diese Frau lächelte! Mehr kriegte ich nicht mit.
Neujahr.
Ich erinnere mich dumpf an die Schrecken dieser Nacht. Muss zur Toilette.
Zögere, aber es eilt. Ich öffne die Toilettentür, war alles nur ein
Traum, aber ich hatte es doch erlebt? Alles war blitzblank. Frische Luft.
Nichts erinnerte an meine nächtliche Alkoholtour. Ich fragte Erika, was
war. Sie hatte alles sauber gemacht. Was für eine Frau hatte ich
geheiratet. Was Liebe nicht alles tut!
Was
konnte denn mir noch passieren, ich konnte stundenlang mir ihr reden, sie sorgte dafür, dass ich nicht im Elend und
Dreck verkam! Ich hatte wirklich einen
Glückstreffer mit meiner Frau gemacht!
Inhaltsangabe
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