Es war ein langer
Arbeitstag. Mittags hatte sie eine Stunde Unterbrechung. In dieser Zeit machte
Erika sich etwas zu essen, außerdem schrieb sie mir Briefe, besonders
nach ihrer Prüfung zur Industriekauffrau fast jeden Tag, als meine Familie nach
Münster-Kinderhaus gezogen war. Denn Telefon hatten wir damals noch nicht in
Kinderhaus. So wurde das Liebesbrief-Schreiben von uns sehr gepflegt.
Erika musste am Feierabend zu Hause helfen, ihr
Vater stellte in Heimarbeit Textilien her. Täglich drehte sie ihre Haare auf.
Darin war sie schon ein wenig eitel. Das fand ich aber gut.
Erika
saß in ihrem Betrieb ziemlich alle Arbeitsbereiche ab. Gelegentlich hatte sie
auch Dienst in der Krankenkassenabteilung des Betriebes zu schieben, natürlich
nicht allein. Diesmal war die Chefsekretärin anwesend. Kundschaft kommt. Ein
Arbeitnehmer aus dem Betrieb will die Geburt von Zwillingen anzeigen. Erika
fragt nach seinem Namen. "Ich heiße Kindermann," antwortet der Mann.
Nicht unpassend, denkt Erika und ruft ihrer Kollegin, die vor der Namensdatei
steht zu: "Hier ist ein Herr Kindermacher und will seine Zwillinge
anmelden." Auffallend eilig kommt die Chefsekretärin angelaufen, schiebt
Erika auf die Seite mit einem Auftrag für das Nebenzimmer. Und in dem Moment
erst wird Erika bewusst, was sie gesagt hat. Kindermacher! Sie errötet, und eilt schnell ins
Nebenzimmer, aber nicht ohne vorher noch einmal verstohlen hin zu schauen, wie
die Reaktion des frischgebackenen Vaters auf ihren Versprecher ist. Doch der scheint nicht erbost zu
sein, nein, er zeigt ein leichtes Lächeln. -
Was habe ich mich damals geschämt! war der Kommentar von Erika, als sie
mir das erzählte.
Erika
war sehr bemüht, obwohl das Geld sehr knapp war - sie gab ihren gesamten
Ausbildungslohn zu Hause ab -, sauber und adrett angezogen zu sein. Das fiel dem
Pförtner der Warpspinnerei auf. Morgens, wenn sie in den Betrieb kam, pflegte
er zu sagen: „Mensch, Wichtken, was hasse wieder für´n fienes Kleidken
an!“ Recht war Erika das nicht, aber der Pförtner war doch schon aus ihrer
Sicht sehr alt, so ertrug sie seine Sprüche, die ja nicht böse gemeint waren.
Es
war 5 Minuten vor sechs Uhr. Erika saß am Schreibtisch in der Warps-Spinnerei.
Um sechs Uhr war Arbeitsschluss. Heute wollte Erika die Eisenbahn wirklich nicht
verpassen. Also schnell aufgeräumt. Sonst machte sie das nicht. Sie wusste,
dass der Chef das nicht gern sah, wenn man schon vor Arbeitsschluss anfing
aufzuräumen. Und - da kam der Chef aus seinem Büro. „Na, Fräulein Fleißig,“
sagte er zu Erika gewandt. „Schon Feierabend?“ Und verließ ohne Gruß den
Betrieb. Bald hätte Erika damals den Zug wirklich verpasst.