Erikas
Mutter machte sich Sorgen, denn ihre Tochter hatte in letzter Zeit öfter blaue
Lippen. Ob sie wohl doch herzkrank war? Ja, und ob und wie!
Erika
und ich gingen schon eine Zeit - ein knappes Jahr - zusammen. Immer noch brachte
ich sie abends nach dem Singkreis nach Hause. Dann standen wir oft noch eine
Zeitlang unten vor der Haustür im Hinterhof und quatschten. Erikas Eltern war das nicht
recht, aber sie wussten wohl auch nicht so recht, wie sie das unterbinden
konnten, denn nach oben in die Wohnung wollten wir nicht kommen. Unten konnten
wir dicht beieinander stehen oder uns die Hände halten, ohne dass wir im
Blickfeld anderer standen. Mehr geschah nicht zwischen uns, dennoch war es wunderbar!
Wir waren halt ein bisschen schüchtern dem anderen gegenüber. Natürlich
auch unerfahren, denn es war unsere erste große Liebe, die sie für uns ja auch
blieb.
Eines Abends -
ich kann mich noch genau daran erinnern -, es war ein milder Abend mit
sternenklarem Himmel, standen wir wieder unten im Hinterhof und tauschten unsere
Gedanken aus. Es entstand eine Pause. Da durchzuckte mich ein Gedanke, jetzt
oder nie: "Schau mal," sagte ich, "da oben ein Stern!" Erika hob ihr
Gesicht nach oben, schaute gerade an meinem Gesicht vorbei. Ihr Mund - ein
Angebot, dem ich nicht wiederstehen konnte. Ich drückte meine Lippen auf ihren
Mund. Sie war völlig überrascht, starr wie eine Salzsäule musste ihr Körper
sein, das fühlte ich über die Lippen, sonst berührte ich sie weder mit
meinem Körper
noch mit den Händen . Ich selbst war erschrocken über meinen Wagemut und dachte
schon an Rückzug, ehe ich eine ins Gesicht von ihr bekäme. Aber dann schlang
sie beide Arme um meinen Hals und ich drückte sie an mich. Unser Kuss geriet
aber sehr unprofessionell. Wir drückten die Münder aufeinander, waren
irgendwie glücklich, zugleich enttäuscht, dass der Kuss nicht mehr an Erleben
bot. Dennoch taten wir es an diesem Abend immer wieder. Und dann ein
plötzliches Ende - Erika löste sich und verschwand im Hausflur. Ich war
überrascht und ging ein wenig "verdattert" (plattdeutsch =
überrascht und geknickt zugleich) nach Hause.
Am
nächsten Abend holte ich Erika vom Zug ab. Sie fuhr tagtäglich mit dem Zug zur
Arbeitsstelle, dem Büro. Ich war irgendwie unruhig und wollte
wissen, ob ich am Abend vorher etwas verkehrt gemacht hatte. Erika war irgendwie
verändert, als sie den Bahnhof verließ und auf mich zuging. Mein Gott! Sie
hatte den Lippenstift doch wohl zu dick aufgetragen, war meine Meinung, die ich
aber für mich behielt. Erika hatte aber meinen prüfenden Blick schon
festgestellt. "Ja," sagte sie lachend, "ich hatte heute morgen solche
blauen, blutunterlaufende Lippen, dass ich das Rot sehr dick auftragen musste,
dennoch hat mich meine Mutter gefragt, ob ich Herzschmerzen hätte, ich hätte
so blaue Lippen. Vielleicht sollte ich früher schlafen gehen und nicht so lange
mit dir unten im Hinterhof stehen." Das mit den blauen Lippen passierte uns nicht mehr
so oft, wir küssten mit mehr Gefühl und Zartheit. Nicht lange dauerte es, da probierten wir den Zungenkuss, ab da ging es langsam
besser.
Schließlich brachten wir es doch zu einer angenehmen und lustvollen
Kusskultur ohne körperliche Schäden. Den 21.März vergaßen wir später in keinem
Jahr, auch wenn es euch Leser zu romantisch klingt, er blieb neben Verlobungs- und Hochzeitstag ein wichtiger
Erinnerungstag.
Inhaltsangabe
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